Die Angst der Russen in Londongrad

Nervosität unter Exil-Russen: Nach der Gift-Affäre erhöht die britische Regierung den Druck, nicht nur auf Oligarchen.

Heftige Attacken gegen Wladimir Putin und seine Regierung zu reiten, gehört für Premierministerin Theresa May inzwischen zum politischen Tagesgeschäft. Auch die jüngste Drohung richtet sich zwar gegen Russen, allerdings sitzen die nicht im weit entfernten Russland, sondern in London und Umgebung.

Erstaunliche 300.000 Russen haben die britische Hauptstadt als Wohnsitz gewählt, einige darunter mehr als wohlhabend. Ihnen hat die britische Regierung über Jahre großzügig Aufenthaltsgenehmigungen gewährt – gegen ebenso großzügige Investitionen in Großbritannien. Zwei Millionen Pfund (2,3 Mio. Euro) für eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, zehn für eine unbegrenzte. Diese Schlupflöcher, meint die britische Regierungschefin. „müssen gestopft werden“.

Im Alltag von Ignaty Dyakov spielen weder solche Summen noch die Drohungen ein Rolle. Ihn ärgern derzeit andere Entgleisungen. Allein die „unprofessionelle“ Sprache, die britische Politiker und Medien verwenden, gehe ihm als Sprachwissenschaftler gründlich gegen den Strich: „Anstatt von Putin und der russischen Regierung reden sie von ' Russland und den Russen'. Das schafft ein Klima, in dem die Leute nicht mehr differenzieren.“

Vor zehn Jahren kam Dyakov zum Abschluss seines Studiums nach London, gründete dort eine Familie und eine Firma namens Russia Local Ltd., die die Kommunikation zwischen britischen Geschäftsleuten und Exilrussen erleichtert.

Wenn einer von letzteren etwa eine Wohnung in London erwerben will, berät Dyakov die britische Seite über die Seriosität der Unterlagen des russischen Kunden. Er spricht daher aus guter Erfahrung, wenn er feststellt: „Nicht alle Russen sind Oligarchen.“

Steinreiche Minderheit

Die Angst der Russen in  Londongrad

Tatsächlich entspricht nur ein verschwindender Anteil der Londoner Russen dem medienwirksamen Stereotyp steinreicher Exilanten, die den örtlichen Immobilienmarkt – und bisweilen auch den englischen Club-Fußball – als gigantische Geldwäsche-, Pardon, Investitionsanlage gebrauchen.

Etwa 500 Superreiche sollen es sein, doch die bringen Großbritannien richtig Geld. Schätzungen sprechen von einer Milliarde für den britischen Staatshaushalt – pro Monat.

Manche dieser Oligarchen agieren diskret, andere sehr öffentlich und im ganz großen Stil: Wie etwa der vor Betrugsanklagen geflohene, als politischer Asylant anerkannte Andrey Borodyn, der sich 2012 in Henley einen Palast um umgerechnet 160 Millionen Euro kaufte. Oder Sibneft-Öl-Milliärdar Roman Abrahmovich, der sich mit den hunderten Millionen, die er in den Chelsea FC steckte, die Herzen vieler Londoner erkaufte. Gefolgt vom Stahl-Magnaten Alisher Usmanov, der 30 Prozent Anteile am Stadtrivalen Arsenal hält.

Unangenehme Fragen von Seiten der Behörden hatten solche potenten Kunden jedenfalls nicht zu erwarten. Scheinfirmen, über die Immobilien angeschafft wurden, wurden tunlichst nicht durchleuchtet. London erwarb sich zu Recht nicht nur den Spitznamen „Londonistan“, sondern auch den Ruf einer Waschmaschine für schmutziges Geld aus Russland.

Dessen Besitzer zählen jedenfalls nicht zur Klientel der Russian Community Organisation, eines wohltätigen Vereins, der russisch sprechenden Einwanderern beim Zurechtfinden im britischen Leben hilft. „Unsere Community ist sehr fragil geworden“, sagt Olga Bastable, die Leiterin der Organisation. Vor allem noch nicht in die britische Gesellschaft integrierte Russen seien „sehr betroffen davon, wie man uns darstellt.“

„Russen härter im Nehmen“

Bastable selbst emigrierte vor 30 Jahren ihrem damaligen britischen Ehemann hinterher aus der Sowjetunion. Sie hegt keinerlei Sympathien für Wladimir Putin, misstraut aber ebenso den persönlichen Anschuldigungen der britischen Regierung an den russischen Präsidenten nach dem Nervengiftanschlag von Salisbury. Der daraus folgende Rückschluss, dass die britische Regierung Russland in dieser Affäre Unrecht tun könnte, schockiert sie nicht im Geringsten. „Ich glaube, die Russen sind da härter im Nehmen, weil uns unsere eigenen Regierungen schon seit Jahrhunderten so schlecht behandeln. Wir kennen das zur Genüge und können uns darüber nicht so sehr ärgern.“

Das sollte Olga Bastable einmal ihrem Landsmann Alexander Vassiliev erzählen. Der seit 22 Jahren in Großbritannien lebende, auf Spionagefälle spezialisierte Journalist, Buchautor und ehemalige KGB-Agent ist ebenfalls kein Putin-Wähler, aber bei Boris Johnsons jüngstem Vergleich zwischen der kommenden Fußball-WM in Russland und den Olympischen Spielen in Berlin 1936 platzte ihm die Hutschnur. „Das ist eine gewaltige Beleidigung“, sagt Vassiliev, „Johnson versuchte zu erklären, dass Großbritannien nichts gegen das russische Volk habe. Dann soll er nicht so daherreden. Der Große Vaterländische Krieg, wie man in Russland dazu sagt, ist etwas Heiliges.“

Falls dagegen die Premierministerin tatsächlich den nach London ausgewanderten Oligarchen auf den Zahn fühlen würde, sei das eine ganz andere Sache: „Dann riskiert sie, eine der populärsten Politikerinnen in Russland zu werden. Die meisten Russen hassen diese Typen nämlich.“

Robert Rotifer aus London

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