Debatte um Kommissar gestartet
Es ist der Tag nach der Wahl und damit der Tag der Analysen. Was wurde falsch gemacht oder hätte zumindest besser laufen können? Manche trauern, manche feiern. Alle kommen sie jedenfalls in den Parteizentralen zusammen, um das Ergebnis zu besprechen - und wie es nun weitergehen soll. Da rückt besonders eine Frage in den Mittelpunkt: wer Österreichs EU-Kommissar werden soll. Die ÖVP beansprucht den Posten naturgemäß für sich: Trotz Verlusten konnte Frontmann Othmar Karas den ersten Platz mit 27,3 Prozent (SORA-Hochrechnungen samt Briefwahlstimmen) und fünf Mandaten verteidigen und ist nun der Strahlemann der Partei. Doch auf den bisherigen Kommissar Johannes Hahn will man sich am Morgen nach der Wahl nicht eindeutig festlegen: "Natürlich wollen wir den EU-Kommissar stellen, wir haben aber immer gesagt; erst muss einmal klar sein: Wer ist der Kommissionspräsident? Genau in dieser Reihenfolge gehen wir vor", so Parteichef Spindelegger zu Ö1.
Hahn bringt sich gleich selbst ins Gespräch: Er stünde bereit, meint er zum ORF-Radio. "Ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich eine sehr, sehr ordentliche Arbeit gemacht habe". Auch strahlt er Zuversicht aus, den Posten wieder besetzen zu können: "In den letzten Wochen und Monaten hat es hier von den Verantwortlichen sehr eindeutige Signale gegeben, aber die Entscheidung ist jetzt nach der Wahl zu treffen, das ist ganz logisch und davon gehe ich aus."
Rückenwind von der SPÖ
Die SPÖ, immerhin mit 23,8 Prozent auf Platz zwei gekommen und nun in Mandatsstärke auf gleicher Höhe, würde Hahn auch unterstützen: "Gio Hahn hat eine gute Arbeit geleistet, das kann ich als Bundeskanzler gut bewerten, weil ich das sehe", so Werner Faymann.
Senioren-Chef Karl Blecha, Infrastrukturministerin Doris Bures und Wiens Bürgermeister Michael Häupl streuten Hahns Verdiensten vor dem Parteipräsidium am Montag ebenfalls Rosen. Klubchef Andreas Schieder gibt sich noch bedeckt: Die ÖVP habe nicht den permanenten Anspruch auf den Posten, aber Hahn habe bisher gute Arbeit geleistet.
Doch die ÖVP lässt sich heute aber noch nicht in die Karten blicken. "Ich habe immer gesagt, dass die Europaparlamentswahl den Kommissionspräsidenten nominiert, aber nicht den Kommissar. Dem kann ich nichts anderes hinzufügen ", meinte auch der Sieger des Vorabends, Karas, der selbst Delegationsleiter bleiben möchte.
Vorläufige Hochrechnung auf Basis der Daten von SORA inklusive Briefwahlstimmen.
Ebenfalls ein Sieger mit Einschränkungen war die FPÖ: Sie konnte ihre Mandate auf vier verdoppeln und kommt laut Hochrechnung auf 19,5 Prozent. Doch die Umfragen hatten ein weit höheres Ergebnis für die Blauen prophezeit, viele EU-Kritiker blieben am Wahltag lieber zu Hause. Der angekündigte "Denkzettel" für die Regierungsparteien blieb also aus.
Der Wahltag zur Nachlese: Der KURIER-Ticker zur Europawahl.
Eindeutiger der Erfolg der Grünen mit Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek: Sie fuhr für die Ökopartei das beste Bundeswahl-Ergebnis ein. Die 15-Prozent -Marke wurde übersprungen. In Wien erreichten die Grünen sogar Platz zwei (siehe Grafik unten).
"Der Hype ist vorbei"
Die NEOS wurden am Sonntag mit 7,9 Prozent enttäuscht. Mit Spitzenkandidatin Angelika Mlinar fährt somit nur eine Mandatarin nach Straßburg. "Wir sind extrem lernfähig", meinte Parteiobmann Matthias Strolz am Montag bei einer Pressekonferenz. Auch Mlinar gab sich offen: "Wir sind mit unserem Wahlergebnis zufrieden, aber nicht ganz glücklich." Eines sei nach dem Sonntag jedenfalls klar: "Der Hype ist vorbei und das ist gut so." Potenzial sei dennoch zur Genüge vorhanden. Strolz: "Diese Lernfähigkeit und die steile Lernkurve sollten uns auch zu neuen Wahlsiegen verhelfen." Im Nationalrat wird für Mlinar der Gastronom Sepp Schellhorn nachrücken. Das dadurch verschärfte Frauenproblem bei den NEOS will Strolz langfristig bekämpfen, denn: "Wir sind ein emanzipiertes Projekt."
Auszählung im Gange
Die Auszählung ist aber noch nicht beendet. Am Montag zählen die Bezirkswahlbehörden die per Briefwahl und am Sonntag mit Wahlkarte in einem "fremden" Wahlkreis abgegebenen Stimmen aus. Die Ergebnisse der Vorzugsstimmen wird noch bis Mittwoch dauern.
Anders als bei der Nationalratswahl dürften die Briefwähler bei der EU-Wahl keine Mandate mehr verschieben. Womit aller Voraussicht nach ÖVP und SPÖ je fünf, die FPÖ vier, die Grünen drei und die NEOS einen EU-Mandatar stellen werden. Und EU-STOP, Europa Anders, REKOS sowie BZÖ werden sicher leer ausgehen.
Die Motive
Der Denkzettel blieb also aus, und innenpolitische Motive spielten laut einer Befragung des GfK-Instituts eine deutlich geringe Rolle als die EU. Das wichtigste Motiv für die Nichtwähler, nicht zur Wahl zu gehen, war die "Sinnlosigkeit" der EU-Wahl, wie der Politologe Fritz Plasser am Montag analysierte. Weiteres wichtiges Motiv für die Nichtwähler war die Unzufriedenheit mit der EU-Politik, die mehr koste, als sie bringe. Außerdem spielten zu wenig Interesse und zu wenig Information eine Rolle.
Die Reaktionen des Wahlabends:
Als erstes ging Othmar Karas am gestrigen Wahlsonntag mit Ehefrau Christa und Sohn Gabriel in die Kirche. Dann gab er im 19. Bezirk auf der Hohen Warte seine Stimme ab, anschließend ging er nach Hause zum Mittagessen. Wenig später trudelten die ersten internen, überraschend guten Wahlprognosen ein. Die ÖVP-Wahlexperten errechneten ab 13.30 Uhr mehr als 27 Prozent Stimmenanteil.
Dem KURIER gibt Karas sein erstes Interview zum Wahlerfolg. "Ich schwebe auf Wolke 21", jubelt der ÖVP-Spitzenkandidat. "Ich danke allen, die mich unterstützt haben – in der Partei und weit über die Partei hinaus".
Die Frage, wie viel "Karas-Effekt" in diesem Erfolg steckt, beantwortet der Spitzenkandidat so: "Als ich in den Wahlkampf gestartet bin, lag die ÖVP in den Umfragen auf Platz 3. Alle Umfragen haben gezeigt, dass ich bei einer Direktwahl des Spitzenkandidaten haushoch gewonnen hätte. Außerdem weiß ich aus den ersten Wahltagsbefragungen, dass ich als einziger Spitzenkandidat ein Wahlmotiv war."
Gefragt nach seinem Erfolgsrezept sagt Karas: "Ich habe den Wahlkampf so geführt, wie ich arbeite: mit Kompetenz Europa gestalten. So habe ich es in den letzten Jahren gemacht, und das werde ich weiter machen."
An welcher Position Karas in Zukunft Europa gestalten will – ob er sich etwa für den Präsidenten des EU-Parlaments bewerben werde oder für den Kommissarsposten – verrät Karas noch nicht: "Ich werde diesen Erfolg jetzt einmal genießen."
Aber dass diesbezüglich noch etwas von ihm zu erwarten ist, macht er klar: "Mein Team und ich gehen gestärkt aus dieser Wahl hervor, und wir werden überlegen, was wir aus dieser Stärke machen. Es ist heute erst das vierte Mal seit 1966 , dass die ÖVP bei einer bundesweiten Wahl stärkste Partei wurde."
Gemeint: Ursula Stenzel (EU-Wahl 1999), Wolfgang Schüssel (Nationalratswahl 2002), Othmar Karas/Ernst Strasser (EU-Wahl 2009), Karas (EU-Wahl 2014).
Drei Viertel für Europa
Das Wahlergebnis insgesamt interpretiert Karas als Kompliment für die Österreicher: "Drei Viertel der Wähler haben für eine konstruktive Europapolitik gestimmt. Dieses Wahlergebnis ist eine Absage an den Protest gegen Europa. Ich werde das auch bei allen internationalen Diskussionen sagen, dass in Österreich die FPÖ zwar dazu gewonnen hat, aber dass sie das Potenzial der ehemaligen Martin-Liste bei weitem nicht ausschöpfen konnte."
Karas Ratschlag an die Politik: "Man soll nicht immer wie das Kaninchen auf die Schlange starren, auf die FPÖ und den Rechtspopulismus. Es zahlt sich aus, unbeirrt einen proeuropäischen Kurs zu halten und konstruktiv für Europa zu arbeiten."
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