Chodorkowski-Buch: Das Lager als Abbild Russlands
Vom Straflager in Sibirien ins Exil in der Schweiz: Michail Chodorkowski, der von Putins Gnaden wieder freigelassene Ex-Oligarch, hat seine zehn Jahre Lagerhaft nun in Buchform verarbeitet. „Über meine Mitgefangenen“ nennt sich das Werk, das weniger den Aufenthalt Chodorkowskis in den Mittelpunkt stellt - die Leben der anderen Insassen werden beschrieben.
„Ungelenk, anmaßend, hochmütig, moralistisch, verzweifelt“ seien die Texte, schreibt die Zeit in einer Kritik: Beschrieben werde darin der Häftlingsalltag mit all seinen Schrecknissen – von einer Messerattacke durch einen anderen Häftling wird ebenso erzählt wie über die Situation, als Chodorkowski einem Mithäftling das Leben rettet - er wollte sich erhängen.
Abbild der Gesellschaft
20 Kurzporträts hat der ehemalige Oligrach verfasst - Skizzen, die das Lagersystem in seiner Korrumpiertheit, Rechtlosigkeit und Unberechenbarkeit erfassen würden, schreibt die Agentur dpa. Sie gehen unter die Haut: „Fast ebenso bedrückend ist seine Schlussfolgerung, das Lagersystem sei ein Abbild der russischen Gesellschaft.“
Details seiner eigenen Lagererfahrung erfährt man indessen kaum. Kein Computer und kein Internet hatte er – und wegen seiner internationalen Bekanntheit genoss Chodorkowski offenbar einen hohen Rang in der Lagerhierarchie. Dennoch, Einzelhaft gab es für den prominenten Häftling keine.
Ungerechtigkeiten
Chodorkowski erzählt stattdessen von einem verurteilten Drogendealer, der sich lieber den Bauch aufschlitzt als einen Handtaschendiebstahl zuzugeben, der ihm zur Last gelegt wird – und den er nicht mal begangen hat. Oder von einem Mithäftling, der ein anderen Insassen kurz vor seiner Haftentlassung umgebracht haben soll – obwohl er den niemals zu Gesicht bekommen hat.
„Du bist kein Mensch, und die um dich herum sind keine Menschen“, werde den Gefangenen eingetrichtert, schreibt der einstige Milliardär. Er sieht im Lagerleben ein „ins Groteske gesteigerten Modell des normalen russischen Lebens.“ Denn „selbst in der Freiheit ist bei uns heute ein krimineller Erpresser nur schwer von einem Vertreter des Staats zu unterscheiden."
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