Chemnitz: Aktenfehler verhinderte Abschiebung eines Tatverdächtigen

Ein Polizist in Chemnitz
Ministerpräsidentin fordert Entlassung von BfV-Präsident Maaßen. Handel beklagt "hysterisches Klima der Angst".
  • Abschiebung eines tatverdächtigen Asylbewerbers im Chemnitzer Tötungsfall an Aktenfehler gescheitert
  • Rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer fordert Entlassung von Verfassungsschutz-Präsident Maaßen
  • Handelsverband warnt vor hysterischem "Klima der Angst"

Die Abschiebung eines tatverdächtigen Asylbewerbers im Chemnitzer Tötungsfall ist einem Medienbericht zufolge an einem Aktenfehler in der dortigen Ausländerbehörde gescheitert. Die Behörde habe zwar im Mai 2016 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Brief mit einer Abschiebefrist bis November erhalten, berichtete die "Bild am Sonntag" unter Berufung auf einen Behördensprecher.

Diese Frist sei aber "nicht in die Akte übertragen" worden. In der Behörde sei man deswegen davon ausgegangen, nur bis August Zeit zu haben. Weil dies als zu kurzfristig eingeschätzt worden sei, seien im Juli 2016 alle Abschiebevorbereitungen eingestellt worden.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte zuletzt das BAMF für die erfolglose Abschiebung verantwortlich gemacht. Nach der Tötung eines Deutschen vor knapp zwei Wochen war es im ostdeutschen Chemnitz zu Straßenprotesten und Aufmärschen rechter Gruppen gekommen. Dabei kam es auch zu Ausschreitungen. Wegen der Tat sitzen zwei Asylbewerber in Untersuchungshaft. Nach einem dritten Tatverdächtigen, einem Iraker, wird gefahndet.

"Ich glaube daher nicht, dass er noch der richtige Mann an dieser Stelle ist."

von Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer

über Hans-Georg Maaßen

Chemnitz: Aktenfehler verhinderte Abschiebung eines Tatverdächtigen

Hans-Georg Maaßen

Nach den Äußerungen von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen über die Vorfälle in Chemnitz und deren Bewertung hat sich die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) für seine Entlassung ausgesprochen. "Herr Maaßen stellt die Glaubwürdigkeit von Politik, Medien und den vielen Augenzeugen infrage", sagte Dreyer.

Er schaffe damit "weitere Verunsicherung und zerstört damit Vertrauen in unseren Staat". "Ich glaube daher nicht, dass er noch der richtige Mann an dieser Stelle ist", bilanzierte die SPD-Politikerin. Zuvor hatten bereits mehrere hochrangige SPD-Politiker Zweifel an Maaßens Eignung für das Amt angemeldet, darunter Parteichefin Andrea Nahles.

Maaßen hatte am Freitag die Echtheit eines Videos von einer möglichen Hetzjagd gegen Migranten in Zweifel gezogen. "Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz wird von mir geteilt", sagte er der "Bild"-Zeitung. "Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken."

Die Äußerungen sorgten quer durch die Parteien für Unmut. Kritisiert wurde unter anderem, dass Maaßen keinerlei Begründung für seine Einschätzung lieferte. Seehofer stellte sich hingegen hinter Maaßen und sagte, sein Informationsstand sei "identisch". Außerdem bezeichnete der Minister die Migration als "Mutter aller Probleme".

Handel sieht Wirtschaftsstandort gefährdet

Chemnitz: Aktenfehler verhinderte Abschiebung eines Tatverdächtigen

Der Handelsverband Deutschland hat nach den Ausschreitungen in Chemnitz vor einem hysterischen "Klima der Angst" in Deutschland gewarnt. "Alle, die das Bild eines toleranten Deutschlands stören, gefährden erheblich unser Zusammenleben und auch den Wirtschaftsstandort", warnte der Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE) Josef Sanktjohanser.

Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft seien gefordert, Ausgrenzung und wachsender Verunsicherung in der Gesellschaft entschieden entgegenzutreten, mahnte Sanktjohanser in einem offenen Brief an die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Die Gesellschaft dürfe nicht zulassen, dass "rechte Kreise" den Eindruck erzeugten, dass hierzulande Intoleranz an der Tagesordnung sei.

De HDE-Präsident verwies auf den drohenden massiven Fachkräftemangel in Deutschland. Die Unternehmen könnten nicht länger auf das große Potenzial internationaler Arbeitskräfte verzichten. "Deshalb sollten wir alle dafür sorgen, dass Menschen aus anderen Ländern gerne zu uns kommen, um diese Lücken zu füllen und damit den Wohlstand unseres Landes für die Zukunft zu sichern", schrieb Sanktjohanser.

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