Erdoğan zu heiklen Gesprächen in Brüssel

Recep Tayyip Erdoğan in Brüssel - ein Staatsbesuch mit Brisanz. Bereits am Morgen wurde der türkische Staatspräsident gemeinsam mit seiner Frau Emine zunächst vom belgischen Königspaar Philippe und Mathilde empfangen (Bild), wohl der unbeschwerte Teil des Besuchs. Politisch heikel wird es am Nachmittag, wenn Erdoğan die EU-Spitzen trifft. Das bestimmende Thema: die Flüchtlingskrise.

Das Verhältnis zwischen Brüssel und Ankara ist belastet, die Chemie zwischen Recep Tayyip Erdoğan, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und Parlamentspräsident Martin Schulz stimmt auch nicht.
Komplexe Lage, hohe Erwartungen
Die Ausgangsposition für eine nachhaltige Lösung der Flüchtlingskrise ist also denkbar schwierig. Die Erwartungen und Bedingungen auf beiden Seiten sind hoch.
Wie der KURIER aus Quellen erfahren hat, will Erdoğan Klartext reden: Die Türkei sei bereit, den Exodus aufzuhalten, aber nur dann, wenn die EU der Regierung in Ankara entgegenkomme und auch etwas Substanzielles anbiete. "Die Türkei kann nicht die Lösung für die Unfähigkeit der Europäer in der Flüchtlingsfrage sein. Es ist ein frommer Wunsch, die Türkei könnte auf Dauer die Pufferzone zu Syrien sein", bringt es Sinan Ülgen in seinem Gastkommentar in der New York Times auf den Punkt. Ülgen ist Direktor des Istanbuler Thinktank EDAM und Dozent von Carnegie Europe, ein intimer Kenner der türkischen und europäischen Befindlichkeiten.
Visafreiheit
Die Türkei knüpft an ein Flüchtlingsabkommen mit der EU nicht nur finanzielle Hilfen, sondern die Visafreiheit für türkische Bürger sowie einen Abbau der Hürden bei den Beitrittsverhandlungen. Die Türkei ist seit 2003 EU-Beitrittskandidat, die Gespräche stocken, etliche Kapitel liegen auf Eis. Und die Visafreiheit, die es für andere Beitrittswerber am Balkan bereits gibt, gilt nicht für die Türkei. Die EU-Kommission ziert sich, Ende des Jahres soll evaluiert werden, ob die Türkei die Voraussetzungen für Visa-Verhandlungen erfüllt.
Das lässt sich die Türkei nicht bieten, die Antwort aus Ankara hat Erpressungspotenzial: "Die EU-Leader stehen vor der Wahl: Visafreiheit oder ein Massenansturm von Flüchtlingen."
Eines hat Erdoğan auch schon ausrichten lassen: Das Angebot, der Türkei eine Milliarde Euro bis Ende 2016 aus dem sogenannten "Vorbeitrittsfonds" für Flüchtlinge zu zahlen, sei kein "seriöser Deal", das Geld sei für EU-Anpassungen vorgesehen und nicht für Kriegsflüchtlinge, argumentiert ein türkischer Diplomat.
Dichte Außengrenze
Um ihre Flüchtlingsstrategie – wie dichte Außengrenzen – durchzusetzen, braucht die EU die Türkei als Partner. Denn nur mithilfe der Türkei kann der Andrang von Asylwerbern zurückgehen. "Die Türkei ist ein Schlüsselland im Kampf gegen Schlepper und illegale Einwanderung", heißt es in Brüssel.
Die EU erwartet die Zusage, die Grenzen zu Griechenland und Bulgarien besser zu kontrollieren sowie neue Lager im Land zu errichten, um die Flüchtlinge näher der syrischen Heimat zu lassen.
Im Hintergrund laufen intensive Verhandlungen mit der Türkei. Dem Vernehmen nach soll die EU bereit sein, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen, die Rede ist von bis zu 500.000 Asylwerbern. Diese Zahl ist aber sehr umstritten und für viele Mitgliedsländer zu hoch.
Vereinbart werden soll auch ein Rückübernahme-Abkommen. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass die Türkei zum sicheren Drittstaat erklärt wird. Flüchtlinge, die kein Bleiberecht in der EU haben, können dann sofort in die Türkei zurückgeschickt werden. Parlamentspräsident Schulz ist dafür, dass die Türkei auf die Liste der sicheren Drittstaaten kommt, so wie alle Beitrittskandidaten am Balkan.
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