Pretty Woman
Teil 3: Hochburg der Schönheitsindustrie. Nirgendwo sind Schönheits-OPs so selbstverständlich wie in Brasilien.
Die Bilder gehören zu Brasilien wie Pelé und Zuckerhut: Frauen am Strand von Ipanema, die selbstbewusst ihre nackten Hinterteile zeigen. Hier, am wohl berühmtesten Strand der Welt, trägt jede einen fio dental, einen Zahnseidenbikini, der hinten so gut wie gar nichts verhüllt.
Ein wohlgeformter, runder Po ist en vogue, weiß Andreas Wunn, Brasilien-Korrespondent für das ZDF, die Oberweite hingegen eher uninteressant.
In seinem Buch "Brasilien für Insider" [Leseprobe hier] schreibt er: "Es ist das große Paradoxon der brasilianischen Strandetikette, dass selbst der schmalste Tanga akzeptiert ist, während Oben-ohne-Baden undenkbar wäre. Lieber sehr unangezogen als halb nackt."
Unangezogen, und das das ganze Jahr – da ist der Druck, dem lokalen Schönheitsideal zu entsprechen, groß. Mehr als 900.000 ästhetische chirurgische Eingriffe werden jährlich durchgeführt, 2400 pro Tag – 2009 waren es noch knapp 700.000. Nirgendwo praktizieren, gemessen an der Gesamtbevölkerung, so viele plastische Chirurgen wie zwischen Zuckerhut und Amazonas. Deren guter Ruf sowie die günstigeren Preise der Eingriffe haben dazu beigetragen, dass sich in Brasilien ein regelrechter Medizin-Tourismus etabliert hat.
"Schönheit ist in Brasilien – generell in Südamerika – ein nationales Anliegen", weiß Walther Jungwirth, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische Chirurgie. "Wenn eine Frau die Miss-World-Wahl gewinnt, bedeutet das so viel wie für andere ein Sieg bei der Fußball-WM. Deshalb ist die Hemmschwelle bei Operationen auch niedriger. Und es wird mehr angeboten."
Plastische Operationen kosten zwar weniger als in Europa, jedoch verdienen die Südamerikaner auch nicht so viel. Warum sie sich die kostspieligen Eingriffe dennoch leisten?
"Das ist eine Frage der Wertigkeit. Wir könnten uns ja auch statt eines Autos eine OP leisten", sagt Jungwirth. Die beliebtesten Behandlungen sind Fettabsaugungen, gefolgt von Brustvergrößerungen und Bauchdeckenstraffungen. Einer der Trends ist die "Vaginoplástica", bei der die Schamlippen verkleinert werden.
Und dann natürlich der Po. Mittels Eigenfett wird er aufgepolstert, "aumentar bumbum" nennen das die Brasilianer.
Dass der Fokus am verlängerten Rücken liegt, hat mit dem Nationaltanz zu tun, erklärt Jungwirth: "Samba-Schulen haben in der Bevölkerung einen enormen Rückhalt. Für den Tanz braucht man eine ausladende Gesäßregion. Oder, wie wir sagen würden: Stockerlhintern."
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Dass sich dieses Ideal international (noch) nicht durchgesetzt hat, sieht man an jenen Brasilianerinnen, die die Laufstege der Welt erobert haben: Von einem Stockerlhintern ist an Gisele Bündchen (siehe unten), Adriana Lima und Alessandra Ambrosio nämlich nicht viel zu sehen.
Wenn Brasilien die Hochburg der Schönheitschirurgie ist, dann ist er der König: Ivo Pitanguy, 87 Jahre alt, berühmtester plastischer Chirurg der Welt, der "Michelangelo des Skalpells", wie ihn seine Landsleute nennen. Ob Sophia Loren, Gina Lollobrigida, Brigitte Bardot oder König Hassan von Marokko – Pitanguy hatte sie alle. Auf dem OP-Tisch, versteht sich. Selbst Niki Lauda durfte er nach dessen Horror-Crash operieren.
Pitanguy wuchs als Sohn einer Künstlerin und eines Chirurgen auf und "hatte immer schon den Wunsch, Kunst und Medizin zu vereinen". In den späten 1940er-Jahren, als er begann, als Arzt zu arbeiten, war die plastische Chirurgie nicht anerkannt – für Pitanguy Motivation genug, sich diesem Feld zu widmen. Mit einem Operationszentrum für Schwerverbrannte in Rio de Janeiro begründete er Anfang der 1960er-Jahre seinen weltweiten Ruhm. In der Abteilung am "General Hospital" haben auch Arme Anspruch auf rekonstruktive plastische Operationen. Für dieses Engagement wurde Pitanguy später sogar von Papst Johannes Paul II. geehrt.
Pitanguy begann als Handchirurg, später machte er alles: Brüste, Nasen, Lider, Fettabsaugungen. Die Top-Kundschaft lässt sich nach der Behandlung in der luxuriösen "Clinica Ivo Pitanguy" in Rio de Janeiro direkt per Helikopter auf die Privatinsel Pitanguys fliegen. Zum Feiern, zum Relaxen. Seine rare Freizeit – Pitanguy praktiziert trotz fortgeschrittenen Alters immer noch und hält Vorträge auf der ganzen Welt – verbringt er dort. Oder in den Schweizer Alpen, wo er am liebsten Ski fährt. Mit seiner Frau Marilu – seit 1955 sind die beiden verheiratet –, den vier Kindern und fünf Enkel.
500 plastische Chirurgen hat Pitanguy ausgebildet, darunter den deutschen Star-Chirurgen Werner Mang. Sein Buch "Plastic Surgery of the Head and Body" gilt als Standardwerk der Schönheitschirurgie.
Pitanguys Erfolg begründet sich auch darauf, dass er nicht alles macht – als einer der Ersten erkannte er, dass ästhetische Chirurgen Verantwortung tragen. "Wenn eine Patientin diese absurden Lippen will, überzeuge ich sie, dass sie hässlich sind", sagt er. Natürlichkeit ist sein Credo: "Einen guten Chirurgen erkennt man an seiner Ausbildung. Und dass man hinterher nicht sieht, dass er operiert hat."
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