Big Brother is Watching: London verdoppelt Einsatz von Gesichtserkennung

BRITAIN-SECURITY
Während in Österreich über die Einführung von Überwachungstechnologie diskutiert wird, ist sie in in England längst Alltag. Jetzt wird das System in London weiter ausgeweitet - damit wächst auch der Widerstand.

We will be watching you!“ Die Warnung des britischen Innenministeriums an die Protestierenden vergangenen Sommer wirkte, als stamme sie aus George Orwells dystopischem Roman 1984: „Wir beobachten euch.“ 

Auslöser waren die tödlichen Messerangriffe in Southport, bei denen drei Mädchen während eines Tailor-Swift-Tanzworkshops ermordet wurden. In den Tagen danach eskalierten die Unruhen: Hotels, in denen Asylwerber untergebracht waren, wurden in Brand gesteckt, Steine durch Fensterscheiben und gegen Polizisten geworfen. 

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Die Polizei musste Hotels absichern.

Staatsminister Lord Hanson sah sich gezwungen, die Bevölkerung zu erinnern: Die Polizei sei befugt, „Personen, die unterwegs seien, um Unruhen zu stiften und Verschwörungen anzuzetteln“, zu verfolgen und mithilfe von Gesichtserkennungstechnologie und anderen Beweisen Strafverfahren einzuleiten

300 Kamera-Aufnahmen pro Tag

Jener Überwachungsgrad, über den in Österreich derzeit noch diskutiert wird, ist in Großbritannien längst Alltag. Fans britischer Krimiserien wissen: Die Detectives fragen am Beginn ihrer Ermittlungen meist nach den Aufnahmen der CCTV-Kameras. Bereits vor zwanzig Jahren wurde der durchschnittliche Brite im Laufe nur eines Tages auf 300 Kameras erfasst. Kameras sind hier überall – in Supermärkten, auf Parkplätzen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Bibliotheken. In London kommen etwa 70 Kameras auf 1.000 Personen. (Zum Vergleich, in Wien sind es circa sieben.) 

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Kritik an der eingeschränkten Privatsphäre weist die britische Polizei mit einem Sicherheitsargument zurück: Eine Analyse von 251.195 Kriminalitätsfällen ergab 2017, dass ein Drittel der Täter mithilfe von Videomaterial ermittelt werden konnten. 

5 Jahre Gesichtserkennung

Der große Aufschrei kam 2020 – als die Londoner Met Polizei ankündigte, künftig Gesichtserkennungskameras einzusetzen. 

„Das ist ein atemberaubender Angriff auf unsere Rechte“, meinte Silkie Carlo, Direktorin der NGO „Big Brother Watch“ zu ABC News. Der Schritt sei „gefährlich, repressiv und völlig ungerechtfertigt“, meinte auch Clare Collier, Direktorin beim Nationalen Rat für Bürgerrechte, gegenüber britischen Medien: „Die Technologie gibt dem Staat beispiellose Macht, jeden von uns zu verfolgen und zu überwachen. Dadurch wird unsere Privatsphäre und unsere freie Meinungsäußerung zerstört.“

Die Polizei argumentierte, das System helfe, Schwerverbrecher zu fassen und vermisste Personen zu finden. Es würde offen zum Einsatz kommen – und nur nach Rücksprache mit betroffenen Gemeinden. 

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Überwachungswägen während der Krönung von König Charles

Im Mai 2023 wiesen  Plakate im Londoner Stadtzentrum auf „Live Facial Recognition in Operation“ hin. Die Krönung von König Charles wurde damit zum größten öffentlichen Einsatz von KI-gestützter Polizeitechnologie in der Geschichte des Landes, vielleicht sogar der Welt, urteilte Fraser Sampson, Großbritanniens erster Beauftragter für Biometrie und Überwachungskameras. Dabei konnte auch ein 33-Jähriger gesuchter Sexualstraftäter gefunden und hinter Gitter gebracht werden.

Maßnahmen weiter verschärft 

Vor zwei Wochen kündigte die Londoner Polizei an, ihren Einsatz von Live-Gesichtserkennungstechnologie zu verdoppeln. Sie soll nun bis zu zehnmal (statt bisher viermal) pro Woche an fünf (statt zwei) Tagen eingesetzt werden. Parallel dazu wird ein neues Social-Media-Intelligence-Team, Online-Nachrichten auf Anzeichen von anti-migrantischer Unruhe auswerten.

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Zuletzt kam es von anti-migrantischen Aktivisten wieder zu Unruhen.

Analog dazu intensivierten die Aktivisten ihren Widerstand. Anfang August reichte der Brite Shaun Thompson gemeinsam mit Big Brother Watch eine Klage gegen die Met Police beim britischen Höchstgericht ein. 

Gesichtserkennungskameras hatten den Sozialarbeiter fälschlicherweise als Messerangreifer identifiziert. Solche Fehler, warnte er gegenüber der BBC, zerstören das ohnehin geringe Vertrauen in die Polizei weiter. Nun würden immer mehr Polizeibeamten, die ihre Gemeinde kennen, durch Algorithmus und Kameras ersetzt werden. Allein dieses Jahr sollen in London 1.700 Stellen gestrichen werden. 

Doch Maschinen, argumentierte Thompson, seien langfristig keine Lösung. Sicherheit brauche menschlichen Kontakt. 

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