Armenpriester in Buenos Aires: Die Streetworker Gottes

Von Tobias Käufer
„Einfach nur Danke“ steht auf der Hauswand geschrieben. Unter einem Porträt von Jose di Paola, den sie hier alle nur „Padre Pepe“ rufen. Irgendwann einmal haben ihm die Menschen ein Denkmal an die Wand an der Straßenecke gemalt, mit wehenden langen Haaren und Vollbart.
Padre Pepe ist Armenpriester, sieht aber ein bisschen aus wie ein Rockstar. Er ist für die Menschen da, die täglich in den Abgrund schauen. Er macht ihnen keine Vorschriften, sondern wohnt mitten unter ihnen, spricht ihre Sprache, kennt ihre Sorgen, kämpft für sie.
Er hat Zugang zu den Mächtigen wie Präsident Alberto Fernández oder Vizepräsidentin Cristina Kirchner, zog einst mit dem späteren Papst Franziskus durch die Armenviertel, als der noch Erzbischof Jorge Bergoglio von Buenos Aires war. Doch es ist nicht die Verbindung zur Prominenz, die ihn so populär macht. Padre Pepe ist ein Reisender durch die Gesellschaftsschichten, er kämpft für konkrete Verbesserungen, er ist ein Macher, kein Theoretiker. Er ist, wenn man so will, die Stimme des Volkes.

Padre Pepe kämpft für die Menschen im Slum.
„Viele Menschen sind ohne Arbeit, die wenigen Jobs, die es gibt, sind sehr prekär. Deswegen sind viele in die Illegalität, in die Kriminalität gegangen. Viele arbeiten im informellen Sektor, ohne Vertrag, ohne soziale Absicherung. Ihr Leben ist ein täglicher Drahtseilakt, jeden Tag droht der Absturz ins Bodenlose“, sagt Padre Pepe.
Es gebe Sozialprogramme der nationalen Regierung, die helfen ein wenig. „Aber wir wünschen uns eigentlich alle, dass Argentinien wieder so wird, wie es einmal war.“ Damals, in den Fünfzigern, als es fast annähernd Vollbeschäftigung gab.
40 Prozent der Bevölkerung sind arm
Jetzt frisst die Inflation von mehr als 100 Prozent die Gehälter auf, Erspartes gibt es erst gar nicht. Die Armutsrate beträgt 40 Prozent, viele haben nicht einmal mehr Angst vor der Zukunft, weil die Realität schon schlimm genug ist.
Armut in den Slums von Buenos Aires heißt, keinen Zugang zu fließendem Trinkwasser, zu Lebensmitteln, zu Infrastruktur zu haben – und auch nicht zu Justiz und Gerechtigkeit. Sie bedeutet Kinderarbeit, Zwangsprostitution oder Drogenhandel.
Wenn Busse kommen, dann dauern die Fahrten von den Armenvierteln bis ins Stadtzentrum zwei, drei Stunden. Das wiederum hat Einfluss auf die Erziehung. Mütter, die in der Stadt putzen, oder Väter, die als fliegende Müllsammler arbeiten, sehen ihre Kinder praktisch die ganze Woche nicht. Weil ihr Tag damit gefüllt ist, acht Stunden irgendwo zu arbeiten, und weitere vier bis sechs Stunden, um dorthin und wieder zurückzukommen.
Anwälte der Armen
Padre Pepe lebt an dieser Schnittstelle zwischen Armut und Verzweiflung auf der einen Seite und dem Kampf dagegen auf der anderen. Wenn er spricht, hören auch die Mächtigen zu. Er formuliert klar und deutlich, ist nicht aggressiv, aber trotzdem einfordernd. Er ist ein Anwalt der Armen.
„Wichtige Dinge wie Wasserflaschen, Medikamente und Lebensmittel sind sehr teuer geworden. Es wird jeden Tag schwieriger, sie zu bezahlen“, sagt er. Konkret bedeutet das, dass die Suppenküchen der Kirche in den Arbeitervierteln nun auch Besuch von denen bekommen, die eigentlich Arbeit haben, deren Lohn aber nicht mehr ausreicht. „Es kommen auch die, die vorher noch nie da waren“, sagt er. Das sei so seit der Pandemie, die Argentiniens Wirtschaft schwer traf.
Einer, der wie Padre Pepe seit Jahren hier Dienst tut, ist Padre Toto. Auch er ist ein Macher, nimmt die Scheibtruhe selbst in die Hand, um Bauarbeiten im Pfarrheim voranzubringen. Seine Kirche und das Heim sind so etwas wie eine letzte Anlaufstelle.
Theorie und Alltag
Die Armenpriester haben eine bemerkenswerte Selbstständigkeit entwickelt. Sie entscheiden je nach Lage, schnell und unbürokratisch. Es gibt unter ihnen auch Debatten, etwa über Abtreibung. Hier prallen dann kirchliche Theorie und Alltag aufeinander. Einer alleinerziehenden Mutter, die schon vier Kinder hat, vorzuschreiben, auch noch das fünfte auszutragen, ist hier mit der Lebensrealität der Menschen nur schwer in Einklang zu bringen.
Auch deswegen folgen die Menschen ihnen, wie zuletzt bei einer Prozession zu Ehren von Papst Franziskus. Padre Pepe und Padre Toto hatten gerufen, tausende Arme waren gekommen. Es ging um ein ernstes Thema: Um den wachsenden Einfluss der Drogenmafia, die Kinder und Jugendliche wie ein Monster auffrisst.
Und während der Rest des Landes über schärfere Gesetze nachdenkt, ergreift Padre Pepe das Wort für die Armen und deren Sicht. Der politischen Prominenz, die zur Prozession gekommen ist, um seinen Aufruf zu unterschreiben, sagt er ins Gesicht: „Wie schön, Sie alle hier sitzen zu sehen. Gewerkschafter, Politiker verschiedener Couleur. Wenn Sie zurück in ihre Sitzungen gehen, setzen Sie das Thema nicht an die vierzehnte Stelle, sondern an die erste Stelle.“
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