Antisemitismus von Mailand bis Antwerpen

Ein Forensiker am Tatort vor dem koscheren Lokal in Mailand.
Ein bekannter orthodoxer Jude wurde in Mailand niedergestochen. Die Angst geht um.

Schock herrscht nach dem brutalen Angriff auf offener Straße auf ein Mitglied der jüdischen Gemeinde in Mailand. Bei dem Opfer handelt es sich um den 40-jährigen Nathan Graff, Schwiegersohn des bekannten Rabbiners Hetzkia Levi. Laut Augenzeugen ging der Täter plötzlich auf den Mann mit einem Messer in der Hand los und schrie: "Ich töte dich!".

Der Angriff ereignete Donnerstagnacht vor dem koscheren Restaurant Carmel im jüdischen Viertel an der Mailänder Peripherie. Graff, der die israelische Staatsbürgerschaft besitzt, musste mit schweren Schnittwunden ins Spital eingeliefert werden. Er erlitt zudem eine tiefe Wunde im Gesicht.

In Mailands jüdischer Gemeinde, wo Nathan Graff und Rabbiner Levi allseits bekannt sind, herrscht Angst. Die Sicherheitsvorkehrungen rund um jüdische Einrichtungen wurden verschärft. "Wir lassen uns nicht einschüchtern", kommentierte der Präsident der jüdischen Gemeinschaft in Italien, Renzo Gattegna. Da er eine Kippa trug, so der Präsident, sei das Opfer leicht erkennbar und angreifbar gewesen. Gattegna appellierte, in den Synagogen für die Genesung des Opfers zu beten.

Kein Einzelfall

"Es handelt sich hier nicht um einen Einzelfall. Leider kommt Antisemitismus auf der ganzen Welt vor. Erst kürzlich kam es zu einem antisemitisch motivierten Übergriff in New York", bedauert die jüdische Autorin Gheula Canarutto Nemni. Sie kennt Graff persönlich und bezeichnet ihn als den "gutmütigsten Menschen der Welt." Die jüdische Gemeinschaft in Mailand gilt mit ihren 7000 Mitgliedern nach jener in Rom als zweitgrößte Gemeinschaft in Italien. Insgesamt zählt man landesweit 21 jüdisch-orthodoxe Gemeinden. "Hoffentlich bleibt es bei einem Einzelfall", betonte Milo Hasbani, Vize-Präsident der jüdischen Gemeinde in Mailand. "Wir hatten nie Probleme in der Stadt. Wir sind gut integriert und haben auch keine Angst. Denn sonst würden ja die Täter gewinnen. Aber natürlich muss man wachsam sein", so Hasbani.

Auch in Rom herrscht große Besorgnis. "Wir müssen leider feststellen, dass der IS-Appell, Juden überall anzugreifen, wo sie sich befinden, auf offene Ohren stößt", erklärte Ruth Dureghello, Präsidentin der jüdischen Gemeinschaft in Rom. Die Fahndung nach dem Täter läuft auf Hochtouren. Die Ermittler überprüfen die Aufnahmen von Videokameras unweit des Tatorts. Geprüft wird auch, ob der Täter allein oder mit Komplizen gehandelt hatte.

Situation in Belgien

Auch in Antwerpen, der größten jüdischen Gemeinde in Belgien mit dem berühmten Diamantenviertel macht sich Antisemitismus breit. Hier leben 20.000 Juden im "letzten Schtetl Europas", das auch das "Jerusalem des Norderns" genannt wird.

Es ist eine der traditionellsten Gemeinden Europas, etwa die Hälfte der Antwerpener Juden sind ultra-orthodox, die Männer tragen lange Bärte und Schläfenlocken, die Frauen Perücken. Die belgische Tageszeitung De Standaard: In 50 Jahren werde es keine Juden mehr in Antwerpen geben. Heute ist man sich nicht sicher, ob man überhaupt so lange warten muss. Denn immer wieder kommt es zu Übergriffen. Während Israel Juden auffordert, auszuwandern, hofft Belgien, dass sie bleiben.

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