Äthiopien: Ein Land sagt der Armut den Kampf an

Äthiopien gilt als eines der ärmsten Länder der Welt.
Beim Besuch von Sebastian Kurz werden humanitäre Hilfe und Migration thematisiert.

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz befindet sich derzeit in Äthiopien (siehe unteren Abschnitt) und trifft und anderem den Präsidenten der Somali-Region, Abdi Mohammed Omer. Ein Blick auf ein Land, das trotz großer Erfolge als ärmstes der Welt gilt.

Äthiopien: Ein Land sagt der Armut den Kampf an
ABD0021_20160201 - ADDIS ABEBA - ÄTHIOPIEN: BM Sebastian Kurz beim Besuch eines somalischen Flüchtlingslagers am 01. Februar 2016 im Rahmen eines Arbeitsbesuches Äthiopien. - FOTO: APA/BMEIA/DRAGAN TATIC

Geschichte

Äthiopiens Geschichte ist eine bewegte - von der Salomonischen Dynastie über das brutale Derg-Regime, das bis in die frühen 1990er reichte, bis hin zum blutigen Konflikt mit Eritrea. Trotz wirtschaftlicher Erfolge, die seither erzielt wurden, zählt es zu den ärmsten Ländern der Welt. Seit 1993 ist Äthiopien ein Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA).

Nach dem Ende des äthiopischen Bürgerkriegs 1991 bis zu seinem Tod 2012 regierte Ministerpräsident Meles Zenawi den knapp 99-Millionen-Einwohnerstaat mit starker Hand. Mit seiner Partei, der EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front der äthiopischen Völker), entwickelte er ein Programm, um das Land politisch grundlegend neu zu ordnen.

Positive Entwicklungen im Land der Armut

Und tatsächlich wurden in den vergangenen 15 Jahren große Erfolge verbucht. So konnten etwa sechs der acht Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) der UNO erreicht werden. Vor allem bei der Armutsminderung ist das Land auf einem guten Weg: Der Anteil der Bevölkerung, die in extremer Armut (weniger als ein Dollar pro Tag) leben, konnte um 20 Prozent gesenkt werden. Allerdings droht das schnelle Bevölkerungswachstum die Erfolge zu konterkarieren. Durchschnittlich bekommt eine Frau in Äthiopien 5,9 Kinder.

Ebenso positiv ist die Entwicklung in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Die Kindersterblichkeit sank um die Hälfte, mehr als 85 Prozent der schulpflichtigen Kinder wurden eingeschult (44 Prozent der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre). Die Alphabetisierungsrate liegt derzeit bei nur 39 Prozent.

30 Prozent unter der Armutsgrenze

Trotz internationaler und nationaler Unterstützung - die Regierung lockerte zur Erreichung der MDGs rund eine Milliarde US-Dollar, vor allem für die ärmste Bevölkerungsschicht - leben noch immer 30 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Äthiopiers beträgt in etwa 45 Euro, in ländlichen Gegenden noch weniger. Im Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen (Human Development Index, HDI) belegt das Land einen der hintersten Ränge (173 von 187). Und auch in Sachen Geschlechtergerechtigkeit und Müttersterblichkeit bleibt noch einiges zu tun. Es ist wohl kein Zufall, dass das patriarchalisch geprägte Land genau bei den beiden frauenspezifischen MDGs hinterherhinkt.

Österreich unterstützt deshalb unter anderem Projekte zur Stärkung von Frauen, damit diese durch die Verbesserung ihrer Einkommenssituation ein selbstbestimmteres Leben führen und ihren Kindern Schulbildung ermöglichen können. Gleichzeitig gibt es Hochschulkooperationen zwischen Universitäten im Norden des Landes und der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien oder Projekte zur Sicherung der Grundversorgung und Produktivitätssteigerung für ländliche Bevölkerung - vor allem auch, um den regelmäßigen Dürreperioden und darauffolgenden Hungersnöten vorzubeugen.

Attraktiver Markt für Investoren

Zwischen 1995 und 2015 flossen insgesamt etwa 118 Millionen Euro österreichische Entwicklungshilfegelder (Official Development Aid, ODA) nach Äthiopien, rund 84 Millionen davon wurden über die Austrian Development Agency ( ADA), die Agentur der OEZA, abgewickelt. Knapp acht Prozent des ADA-Budgets werden derzeit in Äthiopien investiert. Insgesamt erhielt das Land 2013 von internationalen Gebern 2,826 Millionen US-Dollar (2,59 Mio. Euro), das sind 8,2 Prozent des Bruttonationalproduktes (BNE).

Äthiopien: Ein Land sagt der Armut den Kampf an
A man walks near a carcass of a dead cow in Farado Kebele, one of drought stricken Somali region in Ethiopia, January 26, 2016. The drought relief effort in Ethiopia needs about $500 million to fund programmes beyond the end of April to support 10.2 million people facing critical food shortages this year, the U.N. World Food Programme said on Thursday. Picture taken January 26, 2016. REUTERS/Tiksa Negeri

Auch Wirtschaftspartnerschaften werden in dem Land gefördert. Vor allem die äthiopische Regierung verlange nach einer verstärkten Beteiligung des Privatsektors, heißt es seitens Experten. Überhaupt ist die Wirtschaft in dem Land im Aufschwung. Laut Regierung soll sie in diesem Jahr um elf Prozent wachsen, internationale Berechnungen ergeben ein Wachstum von bis zu 7,5 Prozent - ein attraktiver Markt für Investoren. Die Suche nach mehr ausländischen Investitionen sowie neuen Exportmärkten wurde auch im nationalen Wachstums- und Transformationsplan (Growth and Transformation Plan, GTP) festgehalten. Wie in fast allen afrikanischen Ländern, ist China ein bedeutender Investor, vor allem bei der Infrastruktur. Dementsprechend steigt auch der politische Einfluss Chinas im Land.

"Pro-Poor"-Ansatz: Fokus auf die Ärmsten der Armen

Damit im Zusammenhang steht sicherlich auch das problematische Thema Landraub (Landgrabbing). Obwohl von öffentlichen Stellen dementiert und negiert, kritisieren Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die Zwangsumsiedelung indigener Völker in Teilen des Landes, um lukrative Lizenzen für große agrarische Anbauflächen vergeben zu können.

Fest steht, mit den Investitionen - egal ob in Privatsektor oder ländliche Entwicklung - und dem konsequenten Vorantreiben des GTP I bzw. GTP II, der im Herbst letzten Jahres präsentiert wurde, ist Äthiopien auf dem besten Weg, sein Ziel, bis 2025 in den Kreis der Länder mit mittlerem Einkommen (MIC) aufzusteigen, zu erreichen. Der "Pro-Poor"-Ansatz der Regierung, also die Konzentration auf die Ärmsten der Armen, sollte ein Instrument dazu sein, die gerechte Aufteilung des Wachstums auf alle Bevölkerungsschichten sicherzustellen.

Angesichts der extremen Dürre in Äthiopien hat Österreich weitere Hilfsgelder für das Land am Horn von Afrika zugesagt. Insgesamt macht die Regierung in diesem Jahr 6,6 Millionen Euro locker. "Wir müssen jetzt agieren um eine dramatische Ernährungskrise abzuwenden", sagte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag bei einem Besuch im Osten Äthiopiens.

Auf die aktuelle Notsituation in dem ostafrikanischen Land - über zehn Millionen Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen - reagiert Österreich einerseits mit einer "Umwidmung" von laufenden Projekten. Zusätzlich werden drei Millionen Euro in den EU-Afrika-Trustfonds zur Stärkung von Ernährungssicherheit fließen. "Wenn wir jetzt tatenlos bleiben, wird es zu neuen Migrationswellen kommen. Wir wollen daher den betroffenen Menschen, aber auch der Regierung Äthiopiens bei ihren zusätzlichen Aufgaben in diesem Ausnahmejahr rasch und unbürokratisch helfen", begründete Kurz, der am Dienstag unter anderem auch auf seinen äthiopischen Amtskollegen Tedros Adhanom traf. Die dramatische Ernährungssituation in Äthiopien sei die "derzeit drittgrößte Krise" nach Syrien und dem Jemen.

6,6 Mio. Euro für Äthiopien

Die äthiopische Regierung rechnet damit, dass im laufenden Jahr bis zu 20 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein werden. Die beiden jüngsten Regenperioden - eine kurze im Frühjahr und eine größere im Sommer - brachten wegen des Wetterphänomens "El Nino", das das Wasser im pazifischen Ozean erwärmt, nur wenig Niederschlag. Traditionell sind für die meisten Weizen und andere Getreidearten die Nahrungsgrundlage - vor allem für die ländliche Bevölkerung gibt es deshalb bei Ernteausfällen wegen Dürreperioden wenig Alternativen.

Insgesamt leistet Österreich in Äthiopien Hilfe in Höhe von 6,6 Millionen Euro. Neben den drei Millionen Euro für das EU-Projekt gehen zwei Millionen Euro an ein von der Weltbank verwaltetes Projekt - ebenfalls zur Nahrungsmittelsicherheit - vor allem für ländliche Haushalte, die chronisch unter Nahrungsmittelknappheit leiden. Diese insgesamt fünf Millionen Euro stammen aus Mitteln der Austrian Development Agency ( ADA), der Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA), die die staatlichen EZA-Gelder verwaltet.

Saatgut für die Dürre

Weitere 800.000 Euro werden aus dem Auslandskatastrophenfonds (AKF) für einen "Call for proposals" für österreichische Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt. "Damit können zum Beispiel in einem Zeitraum von circa acht Monaten rund 13.000 Kinder unterstützt, 20.000 Haushalte von bis zu sieben Personen mit Saatgut versorgt werden, sowie knapp 5.000 Frauen je zwei Stück Kleinvieh erhalten", erklärte Kurz.

Mit zusätzlichen 250.000 Euro wird das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) unterstützt, welches damit insbesondere Saatgut für die von der Dürre am meisten betroffene Bevölkerung zur Verfügung stellt. 250.000 Euro Nahrungsmittelhilfe wurden dem IKRK bereits im vergangenen Jahr zu Beginn der Dürreperiode vom Lebensministerium zur Verfügung gestellt. Mit ebenfalls 250.000 Euro unterstützt die ADA in einem laufenden Projekt kleine Haushalte im Norden des Landes, mit Hilfe dessen die Auswirkungen von Ernteausfällen abgefedert werden soll.

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