Ägypten: "Manche Männer sehen Frauen als Diener“

Sie kämpften Seite an Seite mit den Männern. Ägyptische Frauen standen während der Revolution für ihre Rechte ein, waren voller Hoffnung, die Gesellschaft verändern zu können. Doch in den fast eineinhalb Jahren, die seit dem Umsturz von Langzeitdiktator Hosni Mubarak im Februar 2011 vergangen sind, hat sich die Ernüchterung breitgemacht. Die islamistische Muslimbrüderschaft beherrscht gemeinsam mit dem Militärrat das politische Geschehen. Die Hoffnungen der ägyptischen Frauen auf Veränderung drohen zu zerplatzen. Sind Frauen die Verlierer des Arabischen Frühlings? Gabriele Habashi, Arabistik- und Islamwissenschaftlerin, erklärt in ihrem neuen Buch "Das neue Ägypten", warum die ägyptische Gesellschaft droht, sich zunehmend zu islamisieren. Die Hamburgerin, die selbst in Kairo lebt, sagt, dass sich die Ägypterinnen vor dem islamistischen Präsidentschaftskandidaten, Mohammed Mursi, fürchten. Außerdem erklärt sie, warum die Arabische Revolution ein Befreiungsschlag für die ägyptischen Frauen war.
Welche Veränderungen hat die Revolution für die Frauen in Ägypten gebracht?
Nach den 18 Tagen der Revolution gab es eine Zeit der Hoffnung. Die Ägypterinnen dachten, sie könnten etwas erreichen. Die Intention des Militärrates, der die Macht nach dem Sturz von Mubarak übernommen hat, war aber von Anfang an, die alte, sogenannte "Stabilität" wiederherzustellen. Im Endeffekt hat sich aber trotzdem etwas verändert. Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden abgehalten – aber das ist nicht das Revolutionäre, was sich die Frauen, was sich alle Ägypter erhofft hatten.
Hatten die Parlamentswahlen einen Einfluss auf die Lage der Frauen in Ägypten?
Als plötzlich die Muslimbrüder die Mehrheit im Parlament bekamen, hat sich für Frauen etwas geändert. Die Muslimbrüder haben sofort mit der Religion verbundene Themen aufs Tapet gebracht. Unter anderem haben sie die Rücknahme des Scheidungsrechts (das es für Frauen einfacher macht, sich scheiden zu lassen, Anm.) gefordert. Ein Abgeordneter hat zum Beispiel auch vorgeschlagen, Mädchen ab 12 Jahren zu verheiraten. Diese Forderungen haben es zum Großteil nicht einmal bis zur Abstimmung geschafft. Trotzdem haben sie die öffentliche Diskussion stark beeinflusst. Die Muslimbrüder werden versuchen, die Frauenrechte einzuschränken.
Die Zukunft der Ägypterinnen scheint eng verknüpft mit dem Einfluss der Muslimbrüder. Wie konnte diese politische Kraft so stark werden?
Die Muslimbrüderschaft waren in den letzten 20 Jahren die Einzigen, die sich um die sozialen Anliegen der unteren Bevölkerungsschichten gekümmert hat. Die armen Menschen waren immer rechtlos, sie haben natürlich die helfende Hand der Muslimbrüder angenommen. Diese haben den Menschen Betreuungsplätze für ihre Kinder, medizinische Versorgung und Urlaub ermöglicht.Die Bevölkerung am Land hat stark zu dem Erfolg der Muslimbrüder bei der Parlamentswahl beigetragen. Die arme Landbevölkerung hat ganz andere Vorstellungen für das Familienleben als die Leute in einer Stadt wie Kairo. Am Land ist es klar, dass ein Mädchen nicht unbedingt zur Schule geht, sondern früh heiratet.
Genau das ist das Bild, das Europäer oft von der ägyptischen Frau haben: früh verheiratet und ein Leben lang unterdrückt. Wie sieht die Realität aus?
Die ist ganz klar schichtabhängig. In der westlichen Welt stellt man sich immer vor, dass die arme Frau in Ägypten komplett unterdrückt ist. In der Mittel- und Oberschicht ist es ganz selbstverständlich, dass die Frauen Zugang zu Bildung haben. Es ist normal, dass ein Mädchen ein Studium macht. Sicherlich, teilweise studieren Frauen, um einen Mann kennenzulernen und zu heiraten. Sie arbeiten dann nie in ihrem Job. Andererseits gibt es meiner Meinung nach in Ägypten viel mehr Frauen, die Karriere machen, als in Europa. Sie arbeiten in hohen Positionen, und das wird auch von der Gesellschaft nicht infrage gestellt. Erst durch die Muslimbrüder und Salafisten im Parlament wurden diese "Karrierefrauen" infrage gestellt. Auch Mohammed Mursi, der Präsidentschaftskandidat der Muslimbrüder, hat immer wieder gemeint, dass Frauen zu Hause sein und für ihre Männer da sein sollen.
Wie reagieren die Frauen in Ägypten auf solche Äußerungen Mohammed Mursis?
Es gibt hier in Ägypten viele Frauen, die sagen: "Was denkt der sich denn, wenn Frauen nicht mehr arbeiten gehen, wie sollen dann die Kinder ernährt werden?". In Ägypten arbeiten sehr viele Frauen. Hier hat sich die Rolle gewandelt, die Ägypterinnen sind jetzt oft die Geldverdiener. Andererseits sehen Männer in den unteren Gesellschaftsschichten ihre Frauen immer noch als ihren persönlichen Diener. Frauen nehmen eine Doppelrolle ein, sie dürfen einerseits unterdrückt werden, müssen den Haushalt in Schuss halten und sind für die Kindererziehung zuständig, andererseits verdienen sie das Geld und ernähren die Familie. Die Männer sitzen oft zuhause, sind arbeitslos, und rühren trotzdem keinen Finger, weil das unmännlich ist. Das ist für die arbeitenden Frauen natürlich schrecklich.
Bei den Präsidentschaftswahlen am 16. und 17. Juni tritt der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, gegen Ahmed Shafik, einen ehemaligen Minister Mubaraks an. Welche Auswirkungen könnte ein Sieg des islamistischen Kandidaten Mursi für die Ägypterinnen haben?
Viele Frauen fürchten sich vor Mursi. Sie haben Angst, dass er Präsident wird, weil die breite Landbevölkerung ihn wählen wird. Die Leute in der Stadt haben Angst vor Mursi, aber sie haben auch Angst vor Shafik. Sie haben Angst, dass ein Präsident, der Muslimbruder ist, mit einem mehrheitlich islamistischen Parlament erstmals die Vorschläge, die gemacht wurden, umsetzten kann. Die Frauen haben Angst davor, dass sie dann zum Beispiel einen Schleier tragen müssen. Das will die Mehrheit der ägyptischen Frauen nicht. Um eine Verschleierungspflicht durchzusetzten, bräuchte es staatliche Gewalt. Die Frauen, die dagegen sind, würden auf die Straße gehen. Andere Frauen würden eine Verschleierungspflicht umsetzen wollen, dann würde es Gewalt in der Bevölkerung geben. Davor haben die Leute Angst. Dadurch, dass die Muslimbrüder erstarkt sind, gibt es einen Rechtsruck in Ägypten. Das ist eine formale Islamisierung. Konservativ war die ägyptische Gesellschaft schon immer. Wenn jetzt aber ein Konservativismus im Sinne des Islam der breiten Bevölkerung aufgezwungen wird, die das nicht will, dann wird es zu mehr Druck kommen, dann wird es innerhalb der Bevölkerung Widerstand geben. Ich weiß nicht, ob das die Kraft hat, einmal zu einer Revolution zu werden.
Welche Konsequenzen hat diese angesprochene Islamisierung für die ägyptischen Frauen?
Dazu fällt mir eine Anekdote ein: Schon vor 10 Jahren wollte meine ägyptische Haushaltshilfe ihre 12-jährige Tochter verschleiern. Sie hat es deswegen gemacht, weil die Lehrerin des Mädchens gesagt hat, sie lasse es durchfallen, da sie das einzige Kind in der Klasse ohne Schleier sei. Das ist ein Zwang zur konservativen Religiosität. Es ist ein Gruppendruck, der hier stattfindet. Ich würde von einer Instrumentalisierung der Religionen sprechen. Manche Frauen verschleiern sich, um heiratsfähig zu sein, um dazuzugehören.
Für die Präsidentschaftswahl kandidierte keine einzige Frau. Ist es für Ägypterinnen schwerer geworden, in die Politik zu gehen, als es noch unter Mubarak war?
Um für die Präsidentschaftswahl kandidieren zu können, gab es viele Hürden, wie zum Beispiel eine erforderliche Anzahl an Stimmen in allen Verwaltungsbezirken. Leider hat es keine Frau geschafft, diese Anforderungen zu erfüllen.Unter Mubarak gab es immer wieder kämpferische Frauen, die natürlich jetzt auch aktiv in der Politik sind. Verschleierte Frauen können es in bestimmte Positionen schaffen, aber die Muslimbrüder wollen traditionell keine Frauen in der Politik. Sie machen es strategisch, sie lassen so viele Frauen hochkommen, dass es in der Öffentlichkeit ein gutes Bild abgibt, aber sie lassen sich nicht von ihnen reinreden. Die Frauen der Muslimbrüder akzeptieren ja auch ihre untergeordnete Rolle.Die sozialistisch Linke Partei hat für die Wahl eine Doppelspitze gehabt aus einer Frau und einem Mann, um ein Zeichen zu setzen. In den säkular ausgerichteten Parteien haben Frauen viele Posten.
Die ägyptischen Frauen kämpften während des Arabischen Frühlings Seite an Seite mit den Männern. War das ein Schritt in Richtung Emanzipation?
Für viele Frauen ist es das erste Mal gewesen, dass sie den Männern gezeigt haben, dass sie genauso viel wert sind. Für die Ägypterinnen war es selbstverständlich, für ihre Rechte zu kämpfen. Es war befreiend, ihren eigenen Wert zeigen zu können. Ägypterinnen arbeiten sonst genauso frei und hart wie Männer. Frauen stehen ihren Mann, sind aber immer weniger anerkannt. Es war befreiend für die Frauen, das Gefühl zu haben, etwas für das eigene Land tun zu können, sich zu opfern, zu protestieren und zu kämpfen. Und den Männern zu zeigen, dass sie die Frauen nicht beschützen mussten. Obwohl die Ägypterinnen während der Revolution nichts anderes gemacht haben, als sonst auch: Frauen sprechen sonst auch ihre Meinung aus und stehen für sich ein.
Zum Buch: "Das neue Ägypten – Wege zur Demokratie" von Gabriele Habashi, € 22,50
Die Autorin stellt ihre persönlichen Aufzeichnungen aus den Tagen der Revolution voran und beleuchtet die Geschehnisse eingehend.
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