EU verschärft Überwachung an Außengrenzen

Abstimmung im EU-Parlament: Das grenzüberschreitende Überwachungssystem Eurosur soll neue Flüchtlingsdramen im Mittelmeer verhindern.

Die EU kämpft weiterhin mit einer Strategie, um Flüchtlingstragödien vor Lampedusa künftig zu verhindern. Das Europaparlament stimmte am Donnerstag für das geplante grenzüberschreitende Überwachungssystem Eurosur. Eurosur soll Schlepperbanden grenzüberschreitend bekämpfen und die Rettung von schiffbrüchigen Migranten verbessern. Menschen, die über das Mittelmeer oder die östlichen Außengrenzen rechtswidrig in die EU gelangen wollen, sollen früher entdeckt werden.

Nationale Koordinierungszentren

Die für die Grenzüberwachung zuständigen Behörden würden dann schneller Informationen etwa über den Standort von Flüchtlingsbooten austauschen können. Geplant sind auch nationale Koordinierungszentren, die eng mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zusammenarbeiten sollen. Das Europaparlament entschied in dieser Frage gemeinsam mit dem Rat, in dem die 28 EU-Staaten vertreten sind.

In einer ersten Phase werden nationale Systeme modernisiert und elektronisch vernetzt, um ein gemeinsames Informationsbild des Grenzgebietes zu erstellen. Dazu sollen auch Aufnahmen von Satelliten und Drohnen genutzt werden. Ein maritimes Meldesystem für das Mittelmeer, Teile des Atlantiks (Kanarische Inseln) und das Schwarze Meer soll später in das Netzwerk eingebunden werden. Die EU-Mitgliedstaaten finanzieren Eurosur gemeinsam über Beiträge für einen "Außengrenzenfonds".

Das System soll bereits in zwei Monaten in EU-Ländern mit Außengrenzen betriebsbereit sein.

Wirksamkeit umstritten

Der Untergang eines Bootes vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa liegt genau eine Woche zurück - mindestens 274 Menschen kamen ums Leben, die meisten davon Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia. Doch die Einführung und Wirksamkeit von Eurosur ist umstritten. So kritisierte die Grünen-Abgeordnete und Expertin für Asylfragen, Ska Keller, die Konzentration auf die Abwehr von Flüchtlingen im Mittelmeer. Erst auf Druck der Grünen fordere das Parlament nun, die Rettung von Flüchtlingen in Seenot in die Aufgabenliste von Eurosur aufzunehmen. "Die Schlepper werden durch eine stärkere Überwachung des Meeres trotzdem nicht gestoppt."

Sie sei auch deshalb skeptisch, weil im Zuge des Programms bilaterale Abkommen mit nordafrikanischen Staaten wie etwa Libyen geschlossen würden. Mithilfe von Eurosur würden die dortigen Behörden dann informiert, um die Flüchtlingsboote frühzeitig abzufangen. "Die Drecksarbeit erledigen also andere für die EU", sagte Keller.

"Das vorrangige Ziel sind keine Rettungsaktionen"

Dagegen sagte der stellvertretende Frontex-Direktor Gil Aria zu Reuters, dass Abkommen mit Drittländern im Zuge von Eurosur erst nach einer Erprobungsphase eingeführt werden sollten. Die neuen Instrumente seien vor allem als Plattform zu sehen, mit der die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten verbessert werden soll. "Das vorrangige Ziel von Frontex sind keine Rettungsaktionen, aber natürlich leisten wir im Bedarfsfall Hilfe."

In diesem Jahr seien mithilfe von Frontex rund 16.000 Menschen aus Seenot gerettet worden, vornehmlich vor der italienischen Küste.

Der zeitliche Zusammenhang ist natürlich Zufall: Exakt eine Woche nachdem vor Lampedusa – wieder – ein Boot mit hunderten Flüchtlingen untergegangen ist, beschloss das EU-Parlament in Straßburg eine engere Zusammenarbeit in der Überwachung der Außengrenzen. Während die Abgeordneten votierten, wurden vor Italiens Küste noch immer Leichen geborgen.

Seit fünf Jahren wird in Brüssel am EUROSUR-Projekt gearbeitet; die neuerliche Flüchtlingstragödie unmittelbar vor Abschluss erhöht jetzt die Aufmerksamkeit. Genauer hinzuschauen ist auch dringend nötig.

Der Kern von EUROSUR ist die engere Zusammenarbeit der EU-Staaten in der Flüchtlingspolitik. Das klingt grundsätzlich vernünftig, heißt im Klartext aber vor allem eines: Die Grenzen sollen noch dichter, Flüchtlingsrouten noch genauer überwacht werden.

Das ist Flüchtlingspolitik nach dem „Law and Order“-Prinzip, die zwar im Versuch, Landesgrenzen zu schützen, ihre Berechtigung haben mag, dabei aber nur Teilaspekte behandelt und vor allem eines nicht kann: Flüchtlingsdramen wie jene vor Lampedusa verhindern. Kein noch so strenges Gesetz, keine noch so genaue Überwachung wird verhindern, dass verzweifelte Seelen sich auf der Flucht nach Europa in Lebensgefahr begeben.

Deswegen müssen sich die EU-Staaten nicht nur technisch, polizistisch, sondern auch politisch zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik durchringen. Das hieße: Eine gerechtere Verteilung der Flüchtlingslast beschließen. Ein EU-weites effizientes Asylsystem aufbauen. Und nicht zuletzt aufschreien angesichts eines italienischen Gesetzes, das die Hilfe für in Seenot geratene Flüchtlinge unter Strafe stellt. Nein, das ist nicht, wie es in Brüssel dieser Tage oft heißt, eine „nationale Angelegenheit“. Sondern eine Schande für ganz Europa.

Was ist das Ziel des Grenzüberwachungssystems Eurosur?

Mit Eurosur verfolgt die Europäische Union drei Ziele: Sie will Schleppern und anderen über Grenzen hinweg tätigen Kriminellen das Handwerk legen, illegale Einwanderung verringern und Flüchtlingen in Seenot helfen. "Eurosur wird die EU-Behörden mit besseren Instrumenten ausstatten, um schwere Verbrechen wie Drogen- und Menschenhandel zu bekämpfen, und wird auch dazu beitragen, die Rettung von Migranten zu verbessern, die mit kleinen Booten versuchen, europäische Küsten zu erreichen", erläutert EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström.

Wie funktioniert Eurosur?

Durch das Kommunikationssystem sollen die für die Überwachung der Land- und Seeaußengrenzen zuständigen Behörden der EU-Staaten wie Polizei, Küstenwache oder Grenzschutz schneller und einfacher Informationen etwa über den Standort von Flüchtlingsbooten austauschen können, die sie zum Beispiel durch die Überwachung der Grenzen mit Satelliten gewonnen haben. Neu aufzubauende nationale Koordinierungszentren sollen so eng untereinander sowie mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zusammenarbeiten und Lagebilder und Risikoanalysen etwa über Schmuggelrouten für Drogen und Menschen austauschen.

Wann ist das System einsatzbereit?

Nach der Zustimmung des Europaparlaments soll das Informationssystem ab Anfang Dezember einsatzbereit sein. Die Kosten für Einrichtung, Betrieb und Personal für die Jahre 2014 bis 2020 sind auf 244 Millionen Euro veranschlagt worden, das Geld ist bereits im EU-Haushalt verplant und muss nicht extra von den Mitgliedstaaten bezahlt werden.

Welche Kritik gibt es?

"Der Einsatz von Eurosur wird unter der Voraussetzung des vollen Respekts von Grundrechten und dem Prinzip der Nicht-Zurückweisung erfolgen", versichert Malmström. "Lebensrettung steht nur drauf, ist aber nicht drin in Eurosur", kritisiert jedoch die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller. "Ziel von Eurosur ist es, nach den europäischen Landgrenzen jetzt auch die Seegrenzen für Flüchtlinge dicht zu machen." Eurosur zeige nur, wie viele Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa in Lebensgefahr seien, verbesserten müssten die EU-Staaten die Rettung von Menschen aber nicht.

Die Österreicher sehen angesichts der Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa die Verantwortung bei den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Jeder zweiter Österreicher wünscht sich jedoch eine Erhöhung der humanitären Unterstützungsgelder für afrikanische Staaten, wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstituts market hervorgeht. Interessantes Detail: Besonders junge Österreicher sprachen sich für eine Abschottung Europas aus.

Die Skepsis gegenüber der europäischen Ausländer-Politik war in den letzten zehn Jahren von 61 auf 68 Prozent gestiegen. Wie market erklärte, dürfte dies auf die EU-kritische Stimmung seit Beginn der Wirtschaftskrise zurückzuführen sein. Nach der Katastrophe in Lampedusa fiel das Ergebnis auf seinen ursprünglichen Wert zurück. "Es hat den Anschein, dass eine massive Sensibilisierung selbst in der momentanen intensiven Berichterstattung nicht passiert“, hieß es in einer Aussendung des Institutes.

Hinsichtlich der Lösung der Flüchtlingsproblematik äußerten sich zwei Drittel für eine humanitäre Unterstützung und Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort. Unterschiedliche Meinungen herrschen darüber innerhalb der Geschlechter, während Männer sich deutlich häufiger eine restriktivere Grenzpolitik wünschen, ist die Mehrheit der Frauen für eine Erhöhung der humanitären Unterstützung. Auch in den Altersgruppen gibt es einen gravierenden Unterschied - Menschen ab 50 treten vorwiegend für die Unterstützungsvariante ein, jeder zweite junge Österreicher findet eine Abschottung Europas besser.

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