Land Rover Defender: Alleskönner mit falschem Namen
Was er im Gelände kann, hat er in Namibia mehr als bewiesen. Wie er sich auf der anderen Seite des Spagats hält, den Land Rover mit dem neuen Defender vorturnt, musste er jetzt auch heimischem Geläuf zeigen.
Der erste Eindruck, vor allem, wenn man ihn irgendwo neben anderen Autos abstellt, ist der von Gullivers Reisen. So mächtig und überdimensional ragt er da heraus aus all den Zwergen neben ihm auf dem Parkplatz. Das hat nicht nur mit den reinen Dimensionen zu tun (samt dem optionalen Ersatzrad streckt sich der 110er mit dem langen Radstand auf über 5 Meter Länge und ragt stattliche 1,96 m in die Höhe), sondern auch mit seiner dominanten optischen Erscheinung. Vor allem von vorne betrachtet wirkt er noch wesentlich bulliger, als er es tatsächlich ohnehin ist.
Hat man das Cockpit erst einmal erklommen (hilfreich ist dabei, dass sich die Luftfederung beim Abstellen des Motors automatisch auf die niedrigste Stufe absenkt) und sich in Bewegung gesetzt, schrumpft der Koloss im Gefühl des Piloten auf durchaus vertretbare Maße. Spindel-Abfahrten in Innenstadt-Tiefgaragen sind zwar weiterhin nicht sein angestammtes Revier, aber selbst enge Altstadtgassen lassen sich dank des guten Einschlags (Wendekreis 12,8 m) und der für millimetergenauen Überblick sorgenden Außenkameras problemloser bewältigen, als zunächst befürchtet.
Auf der Autobahn
Auf der Autobahn zeigt er dann, dass der angestrebte Spagat in der Ausrichtung des neuen Defender zwischen Gelände-Tier und Alltagsauto weitgehend gelungen ist. Hier verwandelt er sich in ein komfortables, äußerst geräumiges und dank seiner zahlreichen praktischen Ablagen auch von den Mitfahrern schnell als unverzichtbar angesehenes Langstrecken-Fahrzeug.
Das Fahrverhalten gibt keine Rätsel auf, die Seitenneigung in flotten Kurven ist überschaubar und der Pilot vergisst bald, dass er hier mit einem Auto unterwegs ist, das auch in Steilwänden, Schlammlöchern und Dünen-Passagen allerbeste Figur machen kann. Einzig das recht stattliche Gewicht der Fuhre (zumindest 2,3 Tonnen werden hier bewegt, meist aber mehr) sollte der Pilot stets im Auge haben. So effizient und robust die vier Scheibenbremsen zupacken, die Physik fordert ihr Recht. Auch wenn man die gefahrene Geschwindigkeit im Passagierraum dank der Luftfederung selbst auf schlechteren Straßen kaum merkt.
Verbrauch
Gewicht und Größe spielen natürlich auch beim Thema Verbrauch eine entscheidende Rolle. Angesichts dessen kann sich der Praxis-Schnitt von 9,5 Liter Diesel pro 100 km des 240-PS-Diesel über die gesamte Test-Distanz von über 1000 km durchaus sehen lassen. Dabei lagen die Extremwerte bei knapp 14 Litern, der geringste Verbrauch auf einer Teilstrecke wurde sogar mit nur 5,3 Litern vermerkt.
Und bei Kilometerstand 10.000 des Test-Defender wurden 15 Liter AdBlue fällig, was einen beruhigenden Hinweis auf eine expeditionstaugliche Reichweite auch in dieser Hinsicht gibt.
Praktisches Detail an der Tankstelle: Der Bordcomputer meldet nicht nur, in wie vielen Kilometern sich der Motor ohne Nachfüllung nicht mehr starten ließe, er zeigt auch an, wie viele Liter nachgefüllt werden sollen.
Der Bordcomputer ist nun endlich schneller, als bisher in Land-Rover- und Range-Rover-Modellen (auch die Umschaltung vom Kamerabild auf die normale Bedienoberfläche funktioniert hurtiger als bisher), das Bedienkonzept fällt allerdings nicht unter die Kategorie „selbsterklärend“. Die Mehrfachverwendung der scheinbar nur die Temperatur regelnden Drehräder will gelernt sein. Dass man sich aber für die Einstellung des gewünschten Allrad-Programms erst in ein Untermenü tippen muss, ist für Einen vom Schlage des Defender keine Zier.
Unterm Strich der beiden ausführlichen Tests auf Offroad-Pisten in Namibia und heimischen Straßen, zeigt sich der neue Defender als Alleskönner, der eine beeindruckende Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten abdeckt (bis hin zum siebensitzigen Kleinbus).
Dass er mit dem ikonischen Vorgänger den Namen gemeinsam hat, könnte allerdings sein größtes Problem in der Wahrnehmung werden. Die eingefleischten Fans der ältesten Geländewagen-Ikone neben dem Jeep werden mit dem neuen Defender ob der seiner Modernität geschuldeten Abkehr von der rein mechanischen Lehre nichts anfangen können.
Wer ihn jedoch als legitimen Nachfolger des kantigen Discovery 4 sieht – und mit dessen auf Eleganz getrimmtem aktuellen Nachfolger nichts anfangen kann – der wird seinen Frieden mit ihm finden. Egal, was da jetzt groß auf dem Kühler steht.
Motorisierung: Zwei Vierzylinder- Diesel (200 bzw. 240 PS) und zwei Benziner (Vierzylinder mit 300 PS, Mild-Hybrid-Sechszylinder mit 400 PS) Im kommenden Frühjahr folgt eine Plug-in-Hybrid-Version.
Antrieb: Permanenter Allrad-Antrieb mit konfigurierbarem Terrain-Response-System, 8-Gang-Automatik
Geländewerte: Wattiefe 900 mm, Bodenfreiheit 218 mm bzw. 291 mm (in Offroad-Stellung), maximale Steigfähigkeit 45 Grad, max. Seitenneigung 45 Grad, Böschungswinkel vorne 30,1 bzw. 38 Grad, Böschungswinkel hinten 37,7 bzw. 40 Grad, Rampenwinkel 28 Grad (Defender 90: 31 Grad), Maximale Bodenfreiheit 293 mm, Achsverschränkung 500 mm,
Sitz-Konfiguration: Auf Wunsch kann in der ersten Reihe ein Klappsitz in der Mitte geordert werden, für den 110 gibt’s auch zwei Sitze in der 3. Reihe.
Lasten: Nutzlast bis zu 900 kg, Dachlast statisch 300 kg, dynamisch 168 kg, Anhängelast 3.500 kg gebremst, 750 kg ungebremst.
Gewicht: Je nach Motorisierung und Ausstattung zwischen 2.140 und 2.418 kg
Die Preise:
Defender 90 (Länge 4.323 mm) ab € 59.426,-
Defender 110 (Länge 4.758 mm) ab € 66.580,-
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