Elektro-Luxus aus Arizona: Am Steuer des überraschenden Lucid Air
Einer muss der Schnellste sein. Ob jetzt bei den Beschleunigungswerten oder der Ladeleistung. Bestwerte in diesen Kategorien verschaffen einem Elektroauto einer neuen Marke auf kürzestem Weg die nötige Aufmerksamkeit.
Wenn man sich dabei noch an einem eingeführten Konkurrenten reiben kann, um so besser.
So lautete in kurzen Worten die Strategie des amerikanischen E-Auto-Neulings Lucid bei der Lancierung seines ersten Modells. Die flache Sport-Limousine Lucid Air wurde als Tesla-Überflügler angelegt. Mit der Meldung eines Beschleunigungswerts von 1,89 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h und einer Ladeleistung von nur 15 Minuten für 400 km Reichweite wurde das Ziel erreicht. Und bei den Vergleichen mit dem stärksten Tesla Model S in den einschlägigen Foren im Netz für Hyperventilation gesorgt.
Der Hype und die Praxis
Soweit die Theorie-Ebene. Wie viel von dem Hype um das neue Wunderauto aus Arizona in der Praxis auf der Straße übrig bleibt, musste ein Lucid Air Touring vor kurzem im Zuge des Tannistest den Juroren der Wahl zum "Car of the Year 2024" beweisen.
Der Air Touring liegt in der Abstufung der Europa-Modelle von Lucid über dem Basismodell Pure und unter dem stärkeren Grand Touring sowie dem Topmodell Dream Edition.
Aber auch seine Leistungsdaten können sich sehen lassen. Die beiden E-Motoren des Lucid Air Touring bringen es gemeinsam auf 462 kW (629 PS) und bieten ein üppiges Drehmoment von 1.200 Nm. Die 92-kWh-Batterie kann mit bis zu 250 kW geladen werden. Die Reichweite im WLTP-Modus liegt je nach Größe der Räder (19 bis 21 Zoll verfügbar) bei 648 km bis 725 km.
Nach dem Einsteigen in den knapp fünf Meter langen, aber nur 1,4 Meter hohen Viertürer überrascht zunächst sein Interieur. Anders als durch den Vergleich mit Tesla erwartet, präsentiert sich das Cockpit als Mischung aus analogen und digitalen Elementen. Hier dominiert nicht ein riesiger Touchscreen, über den selbst die banalsten Funktionen gesteuert werden müssen.
Im Lucid Air werden hingegen neben dem ganzen digitalen Zauber auch noch klassische Regler geboten, etwa für die Steuerung von Lautstärke und Lüftung. Auch das vor dem Lenkrad aufgespannte Display fügt sich schlank in die von edlen Materialien geprägte und mit sehr solider Verarbeitung punktende Armaturenlandschaft ein. Die Bedienung der übrigen Bereiche des Bordcomputers erfolgt über einen in der Mittelkonsole angebrachten Touchscreen, der sich optisch ebenfalls vornehm zurückhält.
Glaskuppel über dem Passagierraum
Für viel Tageslicht von oben sorgt die bis über die Sitze der ersten Reihe gezogene Frontscheibe, die nahtlos in das Panorama-Glasdach übergeht. Gegen zu starke Sonneneinstrahlung ist der Glasdom natürlich mit Schutzbeschichtungen versehen. Die gute Nachricht: Wer beim Fahren wie vorgesehen hauptsächlich nach vorne auf die Straße schaut und auf Pluspunkte von der den Glasdach-Effekt nützenden Besatzung verzichten kann, bekommt auch ein normales, blickdichtes Dach.
Einmal in Fahrt, kann der Lucid Air Touring allerdings auch mit anderen Stärken überzeugen. Und das sind nicht nur der erwartbare Beschleunigungseffekt aufgrund der üppige Leistung bietenden Antriebseinheit. Dass die Fuhre bei spontanem Druck auf das Fahrpedal und Anwahl des entsprechenden Fahrprogramms (Swift bzw. Sprint) so vom Platz stürmt, dass alle Mitfahrenden den Kopf davor schon tunlichst an die Stütze angelegt haben sollten, ist ebenso beeindruckend, wie erwartbar. Schließlich steht ein Beschleunigungswert von 3,6 Sekunden von 0 auf Tempo 100 nicht zufällig im Lastenheft.
Die wahre Überraschung liefert der Lucid Air Touring jedoch nicht auf der Geraden. Er kann auch überzeugen, wenn es kurvig wird. Hier wurde in der Entwicklung offensichtlich nicht nur auf amerikanische Tugenden wie die Leistung im Sprint über die Quartermile geschaut, sondern intensiv an der Abstimmung von Fahrwerk und Lenkung gearbeitet.
Sehr flinke und präzise Lenkung
Das Ergebnis ist eine präzise und äußerst flink reagierende Lenkung, die jederzeit unmittelbare Rückmeldung darüber gibt, was sich auf der Fahrbahn abspielt. Die Multilink-Hinterachse, die je nach Fahrprogramm steuerbaren adaptiven Dämpfer, der Allrad-Antrieb und die vom Cockpit aus in drei Stufen steuerbare elektronische Stabilitätskontrolle zeigen, welcher Aufwand getrieben wurde, um die ausufernde Leistung auch dann auf den Boden zu bringen, wenn es nicht mehr geradeaus geht.
Und beim Thema Verzögerung verlässt man sich nicht wie so manch anderer E-Autobauer weitgehend auf die Rekuperationswirkung der Elektromotoren. Im Lucid Air Touring sorgt ein solides Bremssystem mit einem elektrisch unterstützten Booster (mit auf den Fahrmodus abgestimmter Kalibrierung) für den nötigen Rückhalt. Zusätzlich wird über das Bremssystem für erhöhte Stabilität in Kurven neben Traktions- und Stabilitätskontrolle auch Torque Vectoring geboten.
Antrieb: Zwei Permanent-Magnet-Elektromotoren, Gesamtleistung 462 kW (629 PS), maximales Drehmoment 1.200 Nm, Allrad-Antrieb. Batterie-Kapazität 92 kWh, 700-Volt-Architektur, Wechselstrom-Lader mit bis zu 22 kW, Gleichstromladung mit bis zu 250 kW.
Fahrleistungen: Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 3,6 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 225 km/h
Abmessungen: Länge x Breite x Höhe 4.975 x 1.936 x 1.409 mm, Radstand 2.960 mm, Wendekreis 12 m, Leergewicht 2.360 kg, Gewichtsverteilung vorne / hinten: 50,5 / 49,5. Kofferraum hinten / vorne 627 l / 283,4 l, max. Laderaumkapazität 1,834,9 l. Maximale Dachlast 74 kg.
Verbrauch: Normverbrauch nach WLTP mit Rädern mit 19 / 20 /21 Zoll: 14,1 / 15,7 / 15,9 -16,0 kWh / 100km. Kombinierte Reichweite 725 / 660 / 648 - 651 Kilometer. Ladeleistung bis zu 400 km in 20 Minuten.
Kosten: Preis Lucid Air Touring in Deutschland ab 129.000 €. Österreichpreis noch nicht definiert.
Nach einer ersten Schnupperfahrt am Steuer des Lucid Air Touring lässt sich somit festhalten: Die vom ehemaligen Tesla-Mastermind Peter Rawlinson entwickelte Luxus-Sportlimousine präsentiert sich abseits des Marketing-Feuerwerks um Ladezeiten, Reichweitenrekorde und Beschleunigungswerte als solide verarbeitet wirkende Alternative zu Tesla & Co. Deren größter Pluspunkt in der täglichen Anwendung das ungemein souveräne Fahrverhalten ist, das sich der Leistungsfülle des Antriebs in allen Fahrsituationen gewachsen zeigt.
Kein Blender
In anderen Worten: Hier kommt kein Blender, der mit exorbitanten Leistungsdaten von Schwächen in der Fahrpraxis ablenken will. Sondern ein sehr solides Luxusauto mit E-Antrieb, das der etablierten Konkurrenz noch Kopfzerbrechen bereiten wird.
Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, kann bis zum noch ausstehenden Marktstart in Österreich etwa im Münchner Schauraum von Lucid einen ersten direkten Kontakt zum Lucid Air herstellen.
Als Orientierung für die nötige Investitionsbereitschaft, um zu einem wie hier beschriebenen Lucid Air Touring zu kommen, sei der Deutschland-Preis von zumindest 129.000 € angemerkt.
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