In Wien feierten nun 2 x 50.000 Fans die deutsche Band „Rammstein“. Deren grenzwertige Bühnenshow muss man mögen (oder nicht); die Vorwürfe gegen Frontmann Till Lindemann, an die ein paar Hundert Demonstranten gemahnten, kann man nicht mögen: junge Frauen, für After-Show-„Partys“ hinter die Bühne geholt, sexuelle Übergriffe, Demütigungen – seit Wochen melden sich, wo immer Rammstein aufschlagen, Opfer, denen das auch passiert sein soll. Und seit Wochen ist der mediale Tenor: Wird schon was dran sein, schaut euch Bühnenshow und Typen nur an.
In London wurde Kevin Spacey freigesprochen. Auch im nun letzten Prozess in Sachen sexueller Übergriffe hielten die Anschuldigungen, diesfalls von vier Männern, gegen den Hollywoodstar nicht. Anders als „Rammstein“ konnte Spacey während der Jahre der Vorwürfe nicht auf den Zuspruch seiner Fans bauen: Der Schauspieler flog aus „House of Cards“ (der einzige Millionenprozess, den Spacey verlor, war der gegen „Netflix“, weil er nicht mehr besetzbar war), wurde aus Filmen geschnitten, die Karriere war tot.
Nein, hier soll nicht verglichen werden. Auch nicht verteidigt – das ist Sache der Gerichte. Und genau das ist der Punkt:
Seit die Vorwürfe gegen Harvey Weinstein die #metoo-Bewegung ausgelöst haben, sind Belästigung, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen durch Stars und/oder Vorgesetzte Gott sei Dank nicht mehr etwas, das verschämt verschwiegen, sondern das zum Schämen ist, das aufgedeckt und gegebenenfalls bestraft wird. Filmmogul Weinstein, Inbegriff unappetitlicher Grenzüberschreitung, fasste bisher 39 Jahre Haft aus.
Nicht erst seit #metoo sind einschlägige Vorwürfe aber auch Auslöser für muntere, moral-schwangere Vorverurteilungen. Wir erinnern uns an den nach – erfundenen – Vorwürfen seiner Ex-Geliebten jahrelang um seine Existenz gebrachten Wettermoderator Jörg Kachelmann.
Kevin Spacey hat sich ungeschickt verteidigt, als erste Vorhalte auftauchten (und sich wie zur Ablenkung als homosexuell geoutet). In Interviews lassen sich zwischen den Zeilen Zweifel eines Zerrissenen lesen, ob er immer alles richtig gemacht habe. Und wie einvernehmlich ist in jedem Fall angeblich einvernehmlicher Sex?
Aber auch jetzt zum Freispruch werden mediale Urteile gefällt – weil in den Schritt gegriffen hat er doch wohl gerne, oder?
Das ist die dunkle Seite von #metoo (und werfe jetzt niemand das Stichwort Teichtmeister ein – anders gelagertes Thema): Über Wohl und Wehe eines Till Lindemann oder Kevin Spacey entscheidet nicht die Justiz, sondern die Vorverurteilung durch selbst ernannte Juristen der Chronik- und Feuilleton-Abteilungen der Medien. Deren Wahrspruch lautet, lange vor und selbst nach dem Spruch der echten Justiz: „Wird schon was dran sein.“ Auch das ist zum Schämen.
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