Wien, du fade Stadt! Du warst immer spannend

Wien, du fade Stadt! Du warst immer spannend
Botschafter Leigh Turner erlebte die Bundeshauptstadt in den 1980ern und kehrte 2016 zurück. Ein Resümee

„Wien war so grau und fad, oder?“ Viele junge Wiener sind überzeugt, dass ihre Stadt in den 1980er Jahren furchtbar war. Auch als ich 1984 hier angekommen bin haben mir die Leute gesagt, wie schlimm es in den 60er und 70er Jahren war. Ich habe jedenfalls eine spannende Stadt erlebt.

Das Bermudadreieck voller Bars und Restaurants, hatte Hochbetrieb. Der Austropop hat einem seiner vielen Höhepunkte zugesteuert. Falco’s „Rock Me Amadeus“ war 1986 Nummer eins der Charts in UK und den USA. Die Wiener wussten wie man Spaß hat und die Polizei hat so manche Feier um 22.00 Uhr abgestellt. Ein kleiner Tipp: Wenn einmal die Ordnungshüter vor der Tür stehen sollte man eher nicht das Funkgerät eines Polizisten schnappen und “Beam me up, Scotty“ reinsagen. Grau und fad war es jedenfalls nicht.

Wien war zudem schon in den 1980ern international. Das Vienna International Centre wurde 1979 eröffnet und machte Wien neben New York und Genf zum dritten UNO-Sitz. Diplomatinnen und Diplomaten aus der ganze Welt kamen in die österreichische Hauptstadt. Wien hatte auch fantastische internationale Küche: Persisch, türkisch, koreanisch sowie aus den Balkanländern.

Wenigstens sind heute die Geschäfte länger offen! In den 80ern haben mich die Supermärkte, die am Samstag schon zu Mittag geschlossen waren, verrückt gemacht. Als ich 2016 zurück kam, hatte sich die Lage gebessert. An Knotenpunkten gab es nun Supermärkte, die sogar am Sonntag offenhaben.

Grantelnder Schmäh

Die Wienerinnen und Wiener sind stolz auf Ihren Wiener Schmäh, den ein Kabarettist einmal sinngemäß als Vereinigung der inkompatiblen Elemente Charme und Unfreundlichkeit bezeichnet hat. Umgekehrt bin ich oft beeindruckt, wie Bus- oder Straßenbahnfahrer auf heraneilende Fahrgäste warten .

Als ich von 1984 bis ’87 hier war, durchlief Österreich den Weinskandal, den Fall Lucona, die Waldheim-Affäre und diverse Probleme mit den Abfangjägern. Die Leute sprachen auch über das stets notwendige „Vitamin B“ („B“ wie „Beziehungen“) und Netzwerke wie den „Club 45“ oder den Cartellverband, wo sich hohe politische Meinungsführer regelmäßig trafen. Heute ist der österreichische Wein erstklassig, und die Politik scheint um einiges transparenter geworden zu sein. Gleichzeitig muss man feststellen – es gibt nach wie vor Probleme mit den Abfangjägern, es gab die Ibiza-Affäre und Bankenskandale.

Der Weinskandal 1985 hat die österreichische Weinkultur und vor allem die Qualität des Endprodukts dramatisch verändert. Von meinem ersten Heurigenbesuch in Wien direkt am Tag meiner Ankunft in der Stadt im September 1984 erinnere ich mich vor allem an den Morgen danach. Damals war es ein kleines Wunder, eine gute Flasche österreichischen Rotweins zu finden. 36 Jahre später ist er durch die Bank hervorragend, egal ob rot, weiß oder rot-weiß-rot. Prost!

Zurück ins Zentrum

Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 hat Österreich von einem Land, umschlossen von einer unüberwindbaren Grenze, zurück ins Herz von Europa geholt. Wien ist größer und wohlhabender geworden und hat Hamburg, Budapest, Warschau und Bukarest überholt. Der Tourismus ist zudem gestiegen, nur die Herkunftsländer sind heute andere. Deutlich weniger Nächtigungen von Deutschen (von 65 Millionen 1980 auf 56 Millionen 2018) stehen mehr Nächtigungen aus Osteuropa und Asien gegenüber.

1984 gab es in ganz Österreich 2,5 Millionen Autos, jetzt sind es 5 Millionen. Die Lebenserwartung bei der Geburt ist ebenfalls gestiegen von 73,6 Jahren 1984 auf 81,7 Jahre 2018.

Höhere Lebensstandards und mehr städtischer Tourismus haben zu einem Boom der Restaurant- und Shoppingszene geführt. Ganze Abschnitte der Stadt wurden neu entwickelt. Der Klimawandel und das Rauchverbot in der Gastronomie haben dazu geführt, dass Restaurants und Bars sich geöffnet haben, und Gehsteige, Straßen und Parks der Stadt weiter belebt wurden.

Ein gern bemühtes Zitat über Wien lautet „wenn die Welt untergeht, kommen Sie nach Wien, da passiert alles 20 Jahre später“. Auf dass sich einige Dinge in Wien nie ändern mögen!

Leigh Turner ist britischer Botschafter in Wien. Er war hier von1984 bis 1987 als Botschaftssekretär tätig.

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