Streit im Parlament gehört zur Demokratie

Und Drohungen, ob mit Pflastersteinen oder Worten, gefährden die Demokratie. Lehrt uns die Geschichte.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Was für ein trauriger Anblick: Gewählte Volksvertreter, Parlamentarier, die mit verbalen Argumenten überzeugen sollen, sitzen im Parlament und halten Taferln hoch, wie hilflose Demonstranten, denen keiner zuhört. Eine durchgestrichene 12 steht auf der einen Seite des „Hohen Hauses“, „8-Stundentag“ auf der anderen. In jedem Kindergarten geht es eloquenter zu. Dabei sollten gerade sie es sein, die 183 vom Volk gewählten Repräsentanten, die mit gut überlegten Worten überzeugend argumentieren und im Idealfall auch noch auf Ideen von Vorrednern eingehen.

Gut, das ist vielleicht zu idealistisch gedacht. Aber man muss immer daran denken, wie es in Österreich aussähe, wenn es kein Parlament gäbe. Dann hätten wir eine Diktatur, wie wir sie im vorigen Jahrhundert in zwei unterschiedlichen Formen erlebt haben. Etwas Besseres als die parlamentarische Demokratie wurde noch nicht erfunden, da helfen auch keine künstliche Intelligenz und kein Algorithmus. Gruppen von Menschen in einer Gesellschaft werden immer unterschiedliche Interessen haben, und die gilt es auszuhandeln. Wer Pflastersteine vor die Türen von politischen Gegnern legt, hat schon einen großen Schritt weg von der Demokratie getan. Das sollten gerade ÖGB-Funktionäre begreifen. Und die Türkis-Blauen müssen endlich verstehen, dass unsere Verfassung die regierende Exekutive von der Gesetzgebung trennt. Das Parlament ist kein Vollzugsorgan.

Aber stellen wir uns doch auch einmal den Idealfall vor. Was auch immer man von den politischen Ideen des Matthias Strolz hält, er wusste wie ein echter Parlamentarier zu agieren: Er spricht frei, was leider nur wenige können, er geht auf Argumente von Vorrednern ein und er bringt ein inneres Feuer mit, das auch dazugehört. Also hätte er es verdient, dass sich andere Abgeordnete mit seinen Gedanken beschäftigen. In dieser Woche wäre eine gute Gelegenheit gewesen, als Strolz seine Idee zur Kooperation mit Afrika vortrug. Europäische Städte sollten sich Partnerschaften in Afrika suchen, dabei nicht einfach Geld überwiesen, sondern gemeinsame Projekte beginnen. Das könnte mehr Afrikaner abhalten, ihr Land zu verlassen, als der höchste Zaun im Mittelmeer. Reaktionen? Fehlanzeige.

Selbstbewusste Parlamentarier. Nur ein Traum

Es beginnt ja schon mit der Auswahl der Mitglieder des Nationalrats: Linientreue bis zur Selbstaufgabe und eine brave Karriere in Partei oder Vorfeldorganisation sind mehr wert als Esprit, Rhetorik und Fachwissen. Wer um sein Mandat zittert, fürchtet den innerparteilichen Tadel mehr als den Klubzwang plus Verlust der Freiheit. Da gibt es dann „frei gewählte Abgeordnete“, die sich fürchten, mit einem Journalisten gesehen zu werden.

In Deutschland ist die Hälfte der Bundestagsabgeordneten nach dem Persönlichkeitswahlrecht gewählt, es sind oft die selbstbewussten. Sie wissen, ihre Chefs sind die Wähler im Wahlkreis, nicht die Parteisekretäre. Welcher Politiker (m/w) traut sich, das auch hier zu fordern?

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