Regierung, nimm’ die Bürger mit

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Wer Wähler verwirrt oder vergrämt, verliert sie. Aber genau das können wir uns mitten in einer Pandemie nicht leisten.
Christian Böhmer

Christian Böhmer

Nun hat sie also begonnen, die „zweite Welle“. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat dies am Sonntag verlautbart. Die Lage sei „dramatisch“, und was Herbst oder Winter angeht, gibt man sich besser keinen Illusionen hin. Die werden, so prognostiziert der Kanzler, „fordernd“; man könnte auch sagen „hart“.

Nur kurz nach dem morgendlichen Appell des Regierungschefs saß sein Gesundheitsminister Rudolf Anschober in einem Fernsehstudio. Doch als der Grüne nach der zweiten Welle gefragt wurde, kam kein überzeugtes „Wir sind leider mittendrin“, sondern Anschober’sche Abwägungsrhetorik: Die Lage sei ernst, aber noch fehle für die zweite Welle der exponentielle Anstieg der Infektionszahlen; zudem sei kein Kontrollverlust zu beobachten.

Hat sie jetzt doch nicht begonnen, die zweite Welle? Konnte oder wollte der Minister dem Kanzler nicht zustimmen?

Fest steht: Bei der Frage, wie man die Bevölkerung für die Sache gewinnt, gibt es zwischen de Regierungspartnern spürbare Meinungsunterschiede.

Und fest steht auch: In dem Stakkato aus Presseauftritten und -konferenzen, und zwischen all den Verordnungspräsentationen und -gipfeln hat die Bevölkerung vielfach den Überblick verloren, welche Verbote wann wie wo für sie gerade gelten (wer’s bezweifelt, soll wahlweise eine halbe Stunde in einem öffentlichen Verkehrsmittel, bei einem Elternforum in der Schule oder auch beim Saisonabschlussfest des lokalen Sportvereins zubringen).

Am Beginn einer offensichtlich extrem fordernden Arbeitswoche seien an dieser Stelle daher zwei Vorschläge erlaubt.

Der erste lautet: Die Bundesregierung möge bei ihrer Krisenkommunikation stärker das „KISS“-Prinzip beherzigen. KISS meint „Keep it simple, stupid“ und bedeutet zu Deutsch, dass man Dinge möglichst – pardon – „deppensicher“ machen soll.

Im vorliegenden Fall heißt das: Die interessierte Öffentlichkeit sollte von einer Stelle oder einem Gremium, aber jedenfalls nicht im Tages- oder Halbtagestakt informiert werden. Das überfordert.

Die zweite Bitte: Konkrete Prognosen darüber, was in der Pandemie passieren wird, sollten tunlichst unterbleiben.

Wenn ein Entscheidungsträger prophezeit, dass „bald jeder jemanden kennen wird, der an Corona verstorben ist“ und später – Gottseidank! – mit der Warnung falsch liegt, vergrämt er die Wähler genauso wie jemand, der allzu optimistisch ansagt, es gäbe schon im Jänner eine taugliche Schutzimpfung.

Die Pandemie-Politik ist ein Ritt auf der Rasierklinge, vieles ist offen. Eines aber gilt unverändert: Wer Bürger verwirrt oder vergrämt, verliert sie. Und genau das können wir uns nicht leisten – egal, ob wir vor, exakt am Beginn oder längst mitten in der zweiten Welle sind.

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