PRO
Um jedes Missverständnis vorab zu vermeiden: Niemand wird sich dafür stark machen, dass man unter Drogeneinfluss mit dem Auto fahren darf. Selbst beim Alkohol am Steuer wären 0,0 zu bevorzugen. Und somit sollte das auch bei allen anderen Rauschmitteln, also auch bei Cannabis, gelten. Es geht also um jegliche Mittel, die die „Verkehrstüchtigkeit“ einschränken.
Aber was heißt das in der „echten“ Welt, die grundsätzlich einmal nie frei von Rauschmitteln sein wird? Mit 0,5 Alkohol sind Autofahrer sicherlich reaktionsschwächer als bei 0,0 – dennoch erlauben wir das. Oder wie sieht es mit Medikamenten aus? Jährlich werden Millionen von Psychopharmaka verschrieben, die zum Teil auch sedierend wirken. Dazu kommen noch Millionen von Angstlöserpillen oder Schmerzmittel. Außerdem ist Österreich einer der wenigen Staaten, die beim Führerschein kein Alterslimit eingeführt haben – natürlich aus Feigheit vor dem Thema (und den Alten).
Kickl und Hofer hatten 2018 in der Regierung noch ein Gesetz eingebracht, das schon der Nachweis von Cannabis bei einem Fahrer als Volltrunkenheit gewertet werden soll – da sagte die ÖVP aber Nein. Ein Glück, dass man das Rad ohnehin nicht neu erfinden muss. In 20 US-Bundesstaaten ist Cannabis als Freizeitdroge freigegeben, somit kann man sich an deren Rechtspraxis orientieren. Wir werden wohl einen Grenzwert auch für Cannabis finden. Dass das erst jetzt passiert, ist peinlich genug.
Bernhard Gaul ist Innenpolitik-Redakteur.
CONTRA
Ganz oder gar nicht! – Dieser Grundsatz ist der österreichischen Politik im Bezug auf die Gesetzgebung zum Thema Cannabis fremd. Seit Jahren winden sich Justiz-, Innen-, Verkehrs-, und Gesundheitsminister um klare Regelungen in Sachen Cannabiskonsum herum – egal ob rote, blaue, grüne oder schwarze Minister im Amt waren. Mit der geplanten Gesetzesänderung bezüglich der THC-Grenzwerte im Straßenverkehr führen die zuständigen Ressorts diese Linie auch 2022 fort.
Berauschendes Cannabis ist in Österreich illegal. Nicht berauschendes CBD-Gras ist legal, aber nur wenn man es raucht. Andere Wirkstoffe wie psychoaktives HHC werden verkauft, obwohl sie vermutlich illegal sind, doch niemand fühlt sich zuständig, das zu überprüfen. Und nun soll erlaubt werden, mit geringen Mengen berauschendem THC im Blut Auto zu fahren. Die Zahl der Drogenlenker war 2021 (6.400) 16-mal so hoch wie vor zehn Jahren. Es wirkt, als würden die zuständigen Behörden vor diesem Anstieg kapitulieren. Eine Grenzwert-Regelung erleichtert Justiz und Polizei die Arbeit, denn Bluttests, die beim Verdacht auf Drogenkonsum am Steuer gemacht werden müssen, sind teuer und binden ebenso wie Prozesse Ressourcen.
Es wird in Kauf genommen, dass eine Grenzwert-Regelung Cannabis-Konsumenten ein falsches Signal senden könnte. Kiffen ist illegal, aber irgendwie doch nicht so schlimm. Eine THC-Grenzwertregelung im Verkehr ergibt nur Sinn, wenn berauschendes Cannabis legalisiert oder entkriminalisiert wird.
Birgit Seiser ist Chronik-Reporterin
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