Null Toleranz und Meterstäbe

Hans-Peter Martin
Ein offener Brief an die Bundesregierung: Greift durch!

Die propagierte „Eigenverantwortung“ in der Corona-Krise hat sich leider als trügerisch erwiesen. Verdrängung regiert. Eine Infektion gilt vielerorts als Makel, den man am liebsten verheimlichen würde. Rücksichtslosigkeit und Respektlosigkeit, Unverständnis und Dummheit sind das Problem. Doch Ihr seid zu feige, es zu sagen und daraus die Konsequenzen zu ziehen.

Es ist noch immer viel zu wenig begriffen worden, dass ein ausreichender Abstand zwischen Menschen wohl bis 2022 unbedingt notwendig bleibt. Es ist nicht gelungen, zu große Nähe in Corona-Zeiten gesellschaftlich so zu ächten wie körperliche Übergriffe. Hinzu kommt der so sichtbare Unwillen, Masken korrekt oder überhaupt zu tragen. Ein gnadenloses Versagen der Politik.

Mit der Strategie der „Zero Tolerance“ wurde in den 1990er Jahren die Kriminalität in New York dramatisch gesenkt. Damals war ich kein Fan davon. Nun bin nicht nur ich anderer Meinung. Wir brauchen gegen das Virus einen solchen Durchgriff. Die Boote in Venedig dürfen nur ablegen, wenn alle Passagiere eine Maske über Mund und Nase tragen. Das half. Touristen, die sich widersetzten, wurden vom Boot verwiesen. Verstanden haben sie es nicht.

Doch wie groß wäre die Empörung unter Abstands- und Masken-Ignoranten, wenn sich plötzlich ungewaschene und nackte Menschen in der Öffentlichkeit an sie drängen würden?

Nie hätte ich gedacht, dass so vielen Menschen nicht klar ist, wie lang ein Meter ist. Dabei wären, wie in so vielen anderen Ländern vorgeschrieben, eineinhalb Meter Abstand noch sinnvoller. Aufklärung tut not. Ein praktischer Vorschlag: Statt teure Imageinserate zu schalten, verschenkt zunächst Meterstäbe! Massenweise. Da können dann viele zeigen, wie lange der ihre ist. Und seid endlich ehrlich, woher die hohen Ansteckungszahlen kommen: Welche Familien in welcher Größe feiern wo? Welche Jugendlichen wie? Und wie kommt das Virus in die Pflegeheime? Der Storch wird es nicht gebracht haben.

Null Toleranz galt in Neuseeland. Die Premierministerin landete danach einen Wahlsieg wie seinerzeit Bruno Kreisky. Euer Zaudern trifft nun die Falschen, allen voran Kulturtreibende und Tourismusbetriebe, welche die Auflagen aus Überzeugung oft noch übertroffen hatten. Dabei sind die Unbelehrbaren die Geisterfahrer in der Corona-Welt. Und eine Vermögensabgabe/Erbschaftssteuer/Schenkungssteuer wird um so höher ausfallen, je länger zu wenig geschieht. Meine Güte, traut Euch doch endlich. Setzt Abstand, Maskenpflicht und Desinfektion rigoros durch. Lasst lüften. Stolpert nicht nur von einem Lockdown in den nächsten. Handelt. Konsequent. Dafür wurdet Ihr gewählt.

Hans-Peter Martin ist Publizist und war EU-Abgeordneter.

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