Merkel und Seehofer im Hauch der Geschichte

Zwischen CDU und CSU kracht es nicht zum ersten Mal. Diesmal aber geht es um die bürgerliche Mitte.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Die bayerische CSU werde möglicherweise die Fraktionsgemeinschaft mit der Schwesterpartei CDU aufkündigen, hieß es Donnerstagnachmittag aus Berlin. Das Flüchtlingsthema ist zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer schon in den letzten Tagen eskaliert, jetzt gefährdet es die Zusammenarbeit der beiden Parteien und damit die deutsche Regierung.

Plötzlich weht wieder der „Geist von Kreuth“, freilich in einer völlig anderen politischen Situation. Nach dem Verlust der Bundestagswahl im Oktober 1976, wo Helmut Kohl mit 48,6 Prozent der Stimmen nur knapp das Kanzleramt verfehlte, schob der ewige Rivale Franz Josef Strauß die Schuld auf den CDU-Chef. Die CSU kündigte die Zusammenarbeit auf – ein Beschluss, der freilich nur drei Wochen hielt. Seit damals geht es immer wieder um die Frage, ob die Bayern mit der CSU nicht in ganz Deutschland bei Wahlen kandidieren sollen, als Partei deutlich rechts von der Mitte. Angela Merkel wird schon lange eine „Sozialdemokratisierung“ der CDU vorgeworfen, rechts blieb viel Platz für die AfD.

Kanzlerin Merkel hat es verabsäumt, in der aktuellen Frage um die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze eine schnelle und klare Einigung in der Regierung zu erreichen, insbesondere mit der CSU. Die will Asylwerber, die bereits in einem anderen Staat registriert sind, an der Grenze abweisen. Das ist zweifellos ein wichtiges Thema, aber dahinter steht ein schwelender Konflikt, den die Kanzlerin, wie so oft, zu wenig beachtete. Nun hat sie Seehofer unterschätzt, dazu kommt, dass die CSU im Oktober Landtagswahlen hat.

Der Historiker Andreas Rödder analysiert im neuen Stern die Lage Deutschland so: „Wir erleben eine regelrechte Erosion der politischen Mitte. Unser Land ist aus der Balance geraten. Da ist für die Stabilität unseres Systems gefährlich.“ Rödder spricht auch von der „Kultur der Unbedingtheit, die sich immer weiter ausbreitet und das politische System vergiftet.“ Das trifft wohl nicht nur auf Deutschland zu.

Flüchtlinge – nur mehr Kriminalberichte

Über Flüchtlinge und Integration rational zu diskutieren wird immer schwieriger. Es geht fast nur noch um Straftaten, wenn über Flüchtlinge berichtet wird. Am Donnerstag wurden die Schlepper, die den Tod von 71 Flüchtlingen im August 2015 verursacht haben, verurteilt. Damals war das Mitleid mit den Menschen, die im Lkw erstickt waren, groß. Jetzt hingegen bestimmt der Mord an der 14-jährigen Susanna, vermutlich begangen von einem Iraker, die Schlagzeilen.

Es ist ein Faktum, dass einige Staaten im Herbst 2015 die Kontrolle über ihre Grenzen verloren haben. Das ist noch nicht aufgearbeitet, und es fehlt noch der europäische(!) Plan, wie das künftig zu verhindern ist. Das Zurückfinden der politischen Mitte wird zur Überlebensfrage der europäischen Demokratien – kurzfristig hängt bereits das Überleben der Regierung Merkel daran.

Kommentare