Macron oder Orbán – wer prägt Europa?

Österreich wird sich entscheiden müssen, welches Gesellschaftsmodell besser zu unserem Leben passt.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

In der vergangenen Woche wurde mehr über unsere Zukunft klar, als uns auf den ersten Blick lieb sein kann. Die kaltschnäuzige Beendigung des Iran-Deals durch Donald Trump war auch eine klare Botschaft an Europa: Ihr seid keine Partner, nur Befehlsempfänger. Dabei wissen die EU-Staaten das schon lange. Angela Merkel sagte bereits im Mai 2017: „Europa kann sich nicht mehr auf die USA verlassen, es muss sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen.“

Schon, aber wie? Und wie entwickelt sich die EU? Am Donnerstag haben wir zwei mögliche Wege gehört, die einander freilich ausschließen. Frankreichs Emmanuel Macron machte bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen deutlich: Europa müsse eine eigene Souveränität aufbauen, trotz aller kulturellen Unterschiede. Und vor Studenten ergänzte er, dass „die Wertegemeinschaft der Aufklärung ebenso einzigartig ist wie das magische europäische Dreieck Demokratie – Freiheit – soziale Marktwirtschaft.“ Angela Merkels Zusatz: „Der Rückzug auf das Nationale führt uns in die Irre.“

Am selben Tag erklärte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, Merkel und der ÖVP theoretisch verbunden, er werde anstelle des „Herumbastelns an der liberalen Demokratie die Christdemokratie des 21. Jahrhunderts aufbauen.“ Es gehe um Nation und Gemeinschaft, und das sei mehr als die Ansammlung von Individuen, das ist auch so ein Prinzip aus Orbáns Glaubenssätzen.

Und welches Europa wollen wir? Die USA kümmern sich nicht mehr um Europa, jetzt können wir uns nicht mehr um die Frage herumschummeln, wie dieses aussehen soll. Macron und Orbán, europäische Souveränität oder souveräne Nationalstaaten, das passt schon jetzt nicht zusammen, nach einer notwendigen Reform erst recht nicht. Was will die österreichische Bundesregierung? Hier eine kleine Entscheidungshilfe: Orbáns Christentum klingt eher nach den Kreuzrittern, nicht nach der christlichen Soziallehre, der sich die ÖVP verpflichtet fühlt. Da geht es um die Personalität, also um die Freiheit des Individuums, ohne unnötige staatliche Einwirkung. Und auch um Gemeinwohl und Solidarität, ohne völkischen Bezug. Mit Orbáns „Volksgemeinschaft“ verträgt sich das nicht. Wer an Freiheit – und Verantwortung – des Einzelnen glaubt, glaubt auch an eine Zivilgesellschaft, wo sich Menschen ohne staatlichen Einfluss zusammenfinden, auch die bekämpft Orbán.

Eine gelenkte, nationalistische Demokratie steht im krassen Gegensatz zu den Vätern der EU, die diese als Reaktion auf Hass und Krieg gegründet haben. Aber warum werden autoritäre Systeme überhaupt populär? Der US-Autor Ian Bremmer schreibt im neuesten Time-Magazin, dass die Gesellschaften des Westens, die den Kalten Krieg gewonnen haben, damals deutlich attraktiver erschienen als heute. Das ist wohl der Schlüssel: Demokratie und Freiheit müssen wieder ein Vorbild werden, und wir Österreicher gehören mit unserer Geschichte ganz sicher auf diese Seite, zu Macron, nicht zu Orbán.

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