Wer hat noch die innenpolitisch turbulenten Wochen nach dem Platzen der Ibiza-Affäre im Jahr 2019 im Kopf? Damals platzte die türkis-blaue Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz. Bis zu den notwendigen Neuwahlen lenkte zuerst für wenige Tage eine Übergangsregierung, danach ein Expertenkabinett mit Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein an der Spitze die Geschicke des Landes.
Was aus dieser Zeit in prägender Erinnerung geblieben ist, sind die Auftritte von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Er sprach von der Schönheit der Verfassung, versprühte Zuversicht und setzte alles daran, die Österreicherinnen und Österreicher durch diese schwierigen Wochen zu führen. Teilweise mit einem Lächeln auf den Lippen. Nach dem Motto: Es ist alles kompliziert und durcheinander, aber wir werden auch diese Situationen meistern.
Die Bundespolitik steckt derzeit in einer ähnlich schwierigen Phase wie im Jahr 2019. Am 29. September war gewählt worden, seither wird verhandelt. Zuerst versuchten ÖVP, SPÖ und Neos eine gemeinsame Linie zu finden. Seit dem 6. Jänner obliegt es FPÖ-Parteichef Herbert Kickl, mit der ÖVP eine Regierung auf die Beine zu stellen. Nach anfänglicher Dynamik und einem Konzept für den Schuldenabbau, das selbst Brüssel überzeugt hat, stecken diese Gespräche in einer Sackgasse.
Auslöser war die Ministerliste der FPÖ, die zu einer Unterbrechung der Verhandlungsrunden führte. Es folgte ein Facebook-Posting von Kickl, mit dem er den Anspruch auf das Innenministerium bekräftigte, und schließlich wurde ein Verhandlungspapier an die Medien gespielt. Was ein besonderes Foul darstellt. Wer da noch an eine blau-türkise Koalition glaubt, muss ein grenzenloser Optimist sein. Obwohl seit Wochenbeginn die beiden Parteichefs Herbert Kickl und Christian Stocker wieder miteinander reden.
Was in der Situation diesmal fehlt, sind klare, öffentliche Wortmeldungen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Er müsste als Staatsoberhaupt der Anker sein, um der Bevölkerung ein wenig die Unsicherheit zu nehmen, die sich ob der Irritationen in Wien breitmacht. Indem er die beiden Parteien dazu ermahnt, konstruktiver miteinander umzugehen. Oder indem er einfach nur mit der Verfassung in der Hand klarlegt, wie es seiner Meinung nach weitergehen sollte, falls die blau-türkisen Gespräche tatsächlich abgebrochen werden. Die Bandbreite reicht von neuerlichen türkis-rot-pinken Verhandlungen bis zu einer Expertenregierung als Übergangslösung im Vorfeld von Neuwahlen. Der Bundespräsident ist jetzt gefragt. Auch weil er durch seine eigenwillige Auslegung des Regierungsbildungsauftrages nach der Wahl mitverantwortlich ist, dass mittlerweile schon so lange verhandelt wird.
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