Üben wir uns in der Tugend der Gelassenheit
Gegen die Unzufriedenheit mit Staat und Demokratie hilft auch der beste Klebstoff nicht.
über die Stimmungsdemokratie
In unserer Stimmungsdemokratie fahren die Gefühle regelmäßig Hochschaubahn, weit öfter bergab als bergauf. Da kann ein kaputter Kleber auf Wahlkuverts das Land in eine (weitere) Sinnkrise stürzen. Das sollten wir uns ersparen. Natürlich gehen die Emotionen hoch, wenn ein Teil der Bevölkerung das Amt des Bundespräsidenten ohnehin für unnötig hält, der Wahlkampf aber um weitere sehr teure 80 Tage verlängert wird. Es spricht auch gar nichts dagegen, nach der Wahl Amt und Kompetenzen des Staatsoberhaupts weiter ernsthaft zu diskutieren – die Machtfülle des Bundespräsidenten atmet die Stimmung der autoritären 1920er-Jahre. Wer das Staatsoberhaupt entmachten oder gar abschaffen will, muss allerdings Alternativen vorlegen. Bei aller Kritik an unserem demokratischen Gefüge: Die Institutionen funktionieren im Prinzip und sind für weitere Veränderungen, neue politische Gruppierungen und auch Krisen, die noch kommen werden, durchaus gerüstet.
Ob sie auch funktionieren wollen, muss jetzt bewiesen werden. Das beginnt natürlich beim Gesetzgeber. Der Nationalrat muss die nötigen Gesetze zur Verschiebung der Wahl beschließen. Es ist ja verständlich, dass die FPÖ die Briefwahl ablehnt, weil sie da tendenziell schlechter abschneidet. Aber nach dieser Logik könnte eine Partei das Wahlalter wieder anheben wollen, weil sie bei den Jungen hinten liegt. In der gerne als Vorbild zitierten Schweiz wählt die große Mehrheit der Stimmbürger per Brief. Weil so viel von internationaler Blamage die Rede ist: Die wäre wohl groß, wenn Österreich nicht in der Lage wäre, Briefwahl und Wahlgeheimnis unter einen Hut zu bringen.
Besinnung auf Arbeit – für die Bevölkerung
Die Parteien, und zwar alle miteinander, könnten die Lage auch dazu nützen, um über ihr tägliches Tun nachzudenken. Sie missbrauchen nach wie vor ihre Möglichkeiten, wenn sie in den staatlichen Bereichen fuhrwerken, als gehörte ihnen das ganze Land. Das ist oft für die Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar, wie derzeit im ORF, wo auch nach der Wahl im Hintergrund gepackelt wird, und alle Parteien sind dabei, Grüne und FPÖ inklusive.
Die Regierung wiederum weiß nach der Verschiebung der Wahl, dass im Moment jede Spekulation mit Neuwahlen für den Nationalrat absurd wäre. Und da SPÖ und ÖVP wegen der weisen Auswahl ihrer Kandidaten bei der Stichwahl nur Zuschauer sind, könnten sie die Zeit für Arbeit nützen. Die Bildungsreform wird uns ja als großer Wurf verkauft, von der Umsetzung sind wir aber weit entfernt. Die Arbeitslosigkeit steigt, eine Vereinfachung der Gewerbeordnung und andere Maßnahmen zur Förderung von Unternehmen wurden versprochen. Wann kommen die Umsetzungen? Das gilt auch für die Abschaffung der kalten Progression.
Also: Es wurden Fehler gemacht, aber wir haben keine Staatskrise. Und gegen die Unzufriedenheit mit Staat und Demokratie hilft auch der beste Klebstoff nicht.
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