Hass, Selbsthass und sehr viel Taktiererei
Manchmal kann Politik sogar menschlich wirken. Als Sigmar Gabriel am Freitag zum neuen deutschen Außenminister ernannt wurde und mit seiner Urkunde so dastand, lief plötzlich ein kleines Mädchen ins Bild und schmiegte sich an ihn. Für einen Augenblick gab es nur den Vater mit seiner Tochter.
Jede Ministerin, jeder Abgeordnete führt auch ein Privatleben, mit normalen Sorgen und Nöten, Liebe und Enttäuschung. Aber kaum agieren Politiker öffentlich, vergessen sie alles Menschliche. Was sich im Moment – und damit sind wir in Österreich – in der Regierung abspielt, ist nur mehr abgehoben und irrational. Ein Politiker fragte diese Woche ratlos: "Wo kommt der Hass zwischen SPÖ und ÖVP her?" So, wie manche Beteiligte übereinander reden, klingt es nach Hass, warum aber?
In beiden Parteien verstehen zumindest die Nachdenklichen, dass sie mit ihren Ideologien am Ende sind. Immer mehr Selbstständige sind Einpersonen-Unternehmer, sie sind sicher keine Kapitalisten. Wo passen sie dann hin in unserer Sozialpartnerschaft? Viele wollen flexibel arbeiten, aber wie kann das die Gewerkschaft kontrollieren? Erbschafts- und Vermögenssteuern gibt es in vielen reichen Staaten, die ÖVP war immer dagegen. Also nachdenken verboten, auch über die Finanzierung des Sozialsystems bei verstärktem Einsatz von Robotern. Das gesamte Schulsystem muss seit Jahrzehnten dringend reformiert werden, angefangen beim Irrsinn der Verteilung auf Bund und Länder. Die Lehrer-Gewerkschaft sagt ohnehin reflexartig Nein, auch wenn viele engagierte Pädagogen in ihren Schulen viel weiter sind, als es die Gesetze erlauben. Leidtragende sind vor allem die Kinder. Auch das wissen die Politiker, die ihre Kinder gerne in Privatschulen geben, auch ganztägige, selbst wenn sie offiziell gegen Ganztagsschulen sind.
Es lebe die Taktik. Wofür auch immer.
Wahrscheinlich führen Inkonsistenz und Verunsicherung in den Parteien zu einem Selbsthass, weil alle Beteiligten wissen, dass sie sich in ihren ideologischen Sackgassen verirrt haben. Dazu kommt der Hass auf die jeweils andere – ehemalige – Großpartei, weil SPÖ und ÖVP bisher aufeinander angewiesen sind. Eine Mehrheit mit Grünen und Neos geben die Umfragen nicht her. Und jeder weiß, dass Verhandlungen mit der FPÖ, egal wie das Stärkeverhältnis nach Neuwahlen sein wird, erniedrigend werden. Die FPÖ will in vielen Bereichen eine andere Gesellschaft, geschlossen, weniger liberal, mehr an Putin und Trump als am aufgeklärten europäischen Gesellschaftsmodell orientiert. FPÖ-Chef Strache meinte kürzlich, Österreich müsse auf die Signatarmächte des Staatsvertrags Rücksicht nehmen. Wie bitte? Wir sollen akzeptieren, dass Russland einen Nachbarn überfällt? Das kann nicht die Lehre aus der Befreiung von den Nazis sein, die wir den vier Mächten verdanken.
Auch außenpolitische Verantwortung ist gefragt, dazu ein einiges Europa und Reformen im Land. Vielleicht setzt sich die Vernunft noch durch, gegen allen Hass.
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