Ein spätes Hirtenwort zur rechten Zeit
Ein spätes Hirtenwort zur rechten Zeit: 'Asyl ist ein heiliges Recht'
über die jüngste Offensive der Kirche an der Flüchtlingsfront
In Wien-Liesing geht die Angst um – kräftig geschürt von Boulevard und Blauen. 750 Asylsuchende sollen hier in einem Großquartier untergebracht werden. Das ist eine auch für die offenherzige Stadt Wien unsympathische Notlösung, aber solange fast die Hälfte der Gemeinden weiterhin keinen einzigen Asylwerber aufnimmt, alternativlos. Die Lösung, die der FPÖ einfällt, bleibt schlicht. Präsidentschaftskandidat Hofer ruft gemeinsam mit Strache zur "Großdemo gegen Massenquartiere" auf. Neu ist, dass sie ungewohnter Widerspruch erwartet. Als Zeichen gegen die Angstmache wollen Liesings Kirchen am Montag zeitgleich alle Glocken läuten lassen. Die Idee stammt von der evangelischen Pfarrerin Gabriele Lang-Czedik. Ihren katholischen Kollegen bewegen vor allem die Bilder von Flüchtlingen in Griechenland, die in Schlamm und Kälte gestrandet sind: "Mir und und vielen Österreicherinnen und Österreichern geht es damit ganz schlecht."
Während bald ganz Europa die Grenzen dichtmacht, melden die Kirchen immer lauter Einspruch an. In Deutschland entpuppen sich die Bischöfe als letzte und treueste Verbündete von Angela Merkel. Sie geißeln offen den Kurs von CSU-Chef Horst Seehofer und Möchtegern-Kronprinz CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble als Populismus auf dem Rücken von Flüchtlingen.
Trittbrettfahrer und Kriegsflüchtlinge trennen
In Österreich lassen dieser Tage die Ordenschefs und Theologieprofessoren mit einem gemeinsam Appell gegen "eine Politik der Angst und Inhumanität" aufhorchen. "Zäune errichten ist etwas, das gar nicht geht", sagt die Chefin der Ordensfrauen, Beatrix Mayrhofer.
Sie will statt der Kriegsflüchtlinge die "Waffenlobby" ins Visier genommen wissen: "Im Krieg in Syrien werden 1,18 Billionen Dollar für Waffen eingenommen. Wer steckt die ein?". Die Offensive der zweiten Ebene der Kirchenhierarchie lockte auch die Bischöfe aus der Deckung. Asyl sei "ein heiliges Recht", sagt Christoph Schönborn als Sprecher aller Oberhirten. Eine "Festung Europa" durch Schließen der Flüchtlingsrouten sei "keine Dauerlösung". Wiens Kardinal mahnt mehr Solidarität mit den Schutzsuchenden ein: "Wir werden in Zukunft ein bisschen mehr teilen müssen."
Das späte Erwachen der Kirche in der Flüchtlingsfrage kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt. Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner liefern sich einen peinlichen Schaukampf, wer schneller auf Distanz zu Angela Merkel geht. Es gibt aber auch hierzulande immer mehr Menschen, die keine Lust haben, ihr Herz und Hirn an alte oder neue Populisten zu verschwenden.
Sie sind dankbar für jede ernsthafte Auseinandersetzung mit der Schlüsselfrage im Flüchtlingsdrama: Wie schaffen wir es, Trittbrettfahrer außen vor zu lassen, statt für Kriegsflüchtlinge die Grenzen total dichtzumachen. Denn nicht nur gläubige Christen können und wollen auf Dauer nicht in einem Land leben, in dem erst die Grenzen und dann die Herzen dichtgemacht werden.
Kommentare