Die Deutschen streiten auf höherem Niveau

Politische Diskussionen verlaufen bei uns immer schlichter. Deutsche schaffen vernünftigere Diskurse.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Je sicherer wir uns unserer Grundwerte sind, umso leichter für alle Beteiligten.

von Dr. Helmut Brandstätter

über politische Diskussionen

Wer genug hat von Internet Postings über erfundene Krankheiten von Kandidaten, Gemeinheiten über Flüchtlinge oder dummen Gerüchten auf obskuren Websites, sollte zur Erholung zwei neue Bücher aus Deutschland zur Hand nehmen, die gegensätzlicher gar nicht sein könnten, aber geschrieben sind mit Verstand, Wissen und guten Argumenten. Die beiden Uni - Professoren Marina und Herfried Münkler hoffen auf "Die neuen Deutschen" und sehen im Untertitel "Ein Land vor seiner Zukunft." Ganz anders Hans Olaf Henkel, der frühere Chef der Deutschen Industrie und der Ökonom Joachim Starbatty: "Deutschland gehört auf die Couch! Warum Angela Merkel die Welt rettet und unser Land ruiniert. " Henkel und Starbatty sind EU Abgeordnete für ALFA, das ist eine Abspaltung des AfD.

Der erste Vorwurf von Henkel und Starbatty: Deutschland leide unter einem Helfersyndrom, Merkel wolle Flüchtlinge, das Weltklima und Eidechsen retten, vergesse dabei aber ihr Land. Wobei Henkel als Mitglied von Amnesty International Merkels Engagement für die Menschenrechte, etwa in China, lobt. Kritisiert wird hingegen die bedingungslose Verteidigung des Euro. Die These des Buches: Die Deutschen müssten mit einem geordneten Ausstieg aus der Einheitswährung beginnen.

Bei aller Kritik an Merkels "Willkommenskultur" stehen auch Henkel und Starbatty für sinnvolle Einwanderung, für ein einheitliches europäisches Asylrecht und für Integration durch Arbeit. Hier setzt das Ehepaar Münkler an: Die Veränderung der Identität einer Gesellschaft durch Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen sei unvermeidbar. Also: Die alten Deutschen sind jene, die an der ethnischen Geschlossenheit des Volkes hängen, die neuen Deutschen setzen auf ein weltoffenes, nicht mehr ausschließlich ethnisch definiertes Deutschland.

Die Demokratie lebt von sachlichen Debatten

Solche Diskussionen bräuchten wir in Österreich, jenseits von politischen Untergriffen der immer unerträglicher werdenden Tagespolitik. Ist die Gesellschaft gefestigt und selbstbewusst genug, um mit anderen Kulturen und Religionen umzugehen? Ist der öffentlich dargestellte Islam eine Gefahr für unseren schwächer werdenden Glauben an eine christliche Religion? Und wodurch ist die Aufklärung, hinter die wir nicht zurückgehen dürfen, gefährdet? Schon durch befremdliche Kleidung?

Es wird für beide Seiten, für die Aufnahmegesellschaft und die Zuwanderer, beschwerlich, diese Grenzen auszuloten. Je sicherer wir uns unserer Grundwerte sind, umso leichter für alle Beteiligten: Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Freiheit, auch Freiheit der Religionsausübung. Aber strikte Trennung religiöser Ideen von staatlichen Vorschriften. Die europäischen Gesellschaften müssen sich verändern, wenn wir in Frieden und Wohlstand leben wollen, notwendige Zuwanderung und Digitalisierung erzwingen das ganz sicher. Wir werden sachliche Debatten darüber schaffen – oder in autoritären Regimen das Heil suchen und das Unheil finden.

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