Köpfungen und Ohrfeigen

Zwei Thesen über die Zunahme an Alltagsgewalt scheinen sich gegen alle anderen zu behaupten, beide durch Studien untermauert, beide von zig Experten erklärt und interpretiert. Erste These: Es liegt am immer brutaler werdenden Fernsehen. Zweite These: Mit dem immer brutaler werdenden Fernsehen hat es nichts zu tun.

Jetzt weißt du als Lehrerin natürlich wieder nicht. Darfst du deinen Schülern außer "Tom & Jerry" und "Shades of Grey" (Scherz) noch andere Popoklatsch-Filme zeigen, sofern sie inhaltlich zum Lehrplan passen? Kollegin A., u. a. Englisch und Geschichte an einer Wiener NMS, probierte es in ihrer 3B mit "Henry VIII" und bekam in der Nachbereitung folgendes Feedback:

– Es hätte geiler sein können. Man hat nie den Kopf gesehen.

– Welchen Kopf, Alisha?

– Normal sieht man nach einer Köpfung den Kopf.

– Aha? Welche Filme schaust du dir "normal" an?

– Bei "Game of Thrones" schneiden sie alles ab, die Köpfe, die Hände, bei den Männer ... das… unten, und man sieht alles.

– Und das gefällt dir?

– Gefallen nicht, aber es ist die Wirklichkeit.

Da sei ihr, so schreibt mir die Lehrerin, das Lachen im Hals stecken geblieben, zumal Alisha zu den sanften Lämmlein ihrer Herde gehöre, die es eher mit der Bergpredigt halte als mit dem IS: "Alisha ist die, die freiwillig die linke Wange hinhält, wenn sie auf die rechte geschlagen wird."

Als die Lehrerin bei der anschließenden Diskussion über häusliche Gewalt die Frage stellte, wer aller regelmäßig von seinen Eltern geohrfeigt werde, nächster Paukenschlag: alle (ALLE!) Hände oben. Zuerst habe sie an ein Missverständnis geglaubt.

– Ich habe regelmäßig gesagt. Also wer mindestens ein Mal pro Woche?

Aber dann: 18 Hände oben.

– Und wer mit einem Gegenstand, zum Beispiel einem Gürtel, einem Stock oder so was?

Fünf Hände oben.

21. Jahrhundert. Mitten in Wien eine Klasse mit 23 Kindern im Alter zwischen 12 und 15. Und jedes fünfte wird regelmäßig mit einem Gegenstand gezüchtigt.

Das ist Alishas Wirklichkeit.