130 mal 160 Zentimeter Wärme

Doris Knecht

Doris Knecht

Das Textil des Jahres ist 130 mal 160 Zentimeter groß.

von Doris Knecht

über Spenden für Flüchtlinge

Das Textil des Jahres ist 130 mal 160 Zentimeter groß. Es ist weiß, mit quirligen, hellgrauen Schlangenlinien: eine dünne Decke aus 100 Prozent Polyester-Fleece, die zum Symbol für die Schutzbedürftigkeit von fast vier Millionen Syrern auf der Flucht wurde.

Es gibt keine Fotoserie über Flüchtlinge in Ungarn, Griechenland, Serbien, Kroatien, Deutschland und Österreich, auf der man diese Decke nicht entdeckt.

Meistens ist ein Mensch darin eingewickelt, der sie zum Schutz gegen Kälte um Kopf und Schultern gelegt hat. Häufig, wie in der bedrückenden Fotoserie "Where the children sleep" von Magnus Wennman, sind Kinder damit zugedeckt: die fünfjährige Lamar, die in einem serbischen Waldstück auf einer Tuchent schläft, die siebenjährige Shehd, die auf Asphalt schläft, die weiße Decke mit dem grauen Muster unter sich zusammengeknüllt. Auf der Decke liegen Flüchtlinge in Traiskirchen. Sie ist auf den Bildern von den am Budapester Bahnhof gestrandeten Menschen zu sehen, für die sie Nachtlager war. Sie wärmte Mütter und ihre Babys auf dem großen Marsch von Ungarn nach Österreich, sie schützte, zumindest eine Zeitlang, junge Männer vor dem Regen. Man sieht sie auf den Bildern von Nickelsdorf, Salzburg, München und Hamburg: Wenn man sie einmal entdeckt hat, findet man sie überall. Die Decke heißt Kråkris, sie ist von Ikea , sie kostet 1,99 Euro, sie ist überall.

Ich habe Kråkris zuletzt am Hauptbahnhof gesehen, vorgestern früh, sie war um eine syrische Mutter gewickelt, die sich in der zugigen Unterführung mit ihrem Kind um Essen anstellte. Es gab nicht viel: Sandwich-Brot mit Aufstrich und Paprika, Milchbrötchen mit Nutella, Tee, später gab es auch wieder Äpfel und Bananen.

Ein paar großzügige Unternehmen und viele Wienerinnen und Wiener spenden immer noch. Aber es werden, wie deutlich zu bemerken ist, bei Weitem nicht mehr so viele Lebensmitteln und Sachspenden vorbeigebracht, auch HelferInnen werden knapp. Kein Wunder: Die Österreicherinnen und Österreicher haben bereits unglaublich viel getan und sich auch finanziell verausgabt, indem sie tonnenweise Lebensmittel für die syrischen Flüchtlinge gekauft haben, Kleidung spendeten, Schlafsäcke, Isomatten. Und Tausende Decken, wie die Kråkris, die wärmt; aber bald nicht mehr genug.

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