hund & HERRL: Lady in Red

hund & HERRL: Lady in Red
Barolo ist tolerant, aber rauchen darf er nicht.

Dass der Bahnhof Wien Mitte, die ewige Baustelle, Menschen aller Hautfarben, Berufe und Berufungen anzieht, ist meinem Hund Barolo egal. Er hat nichts gegen Punks, Augustin-Verkäufer und Schnorrer, so wie er nichts gegen Schaffner, Trafikanten und Würstelstandbesitzer hat. Mein Hund ist da total unvoreingenommen. Er liebt jeden, der ihm was zu fressen gibt. Was zu fressen bekommt er jedes Mal, wenn wir die Thalia-Bahnhofsbuchhandlung betreten, um ein Buch oder ein Magazin zu holen. Der Lange mit dem speichelnden Köter, dessen Schnauze wie ein Kompass zur Kassentheke zeigt, hinter der die Leckerli verborgen sind, ist eine äußerst beliebte Clownnummer. Angeblich kommen inzwischen Menschen nur deshalb zu Thalia, um uns zu sehen. Aber mein Hund lässt sich nicht nur von den freundlichen Thalia-Damen füttern. Zuletzt sah er mit großen Augen einer etwas verlotterten, aber gleichwohl gut gelaunten Frau in wallenden, roten Gewändern zu, die sich nach einer nur halb gerauchten Zigarette bückte, um sie vom Boden aufzuheben - sie arretierte Tschick, wie es in Wien heißt, vom Boden, sozusagen von jener Fläche, die mein Hund seit jeher als gedeckten Tisch betrachtet. Augenblicklich begann ihm das Wasser im Maul zusammenzurinnen. Er stemmte sich mit aller Kraft gegen den Zug der Leine und fixierte die "Lady in Red", als habe sie ihn gerade mit Engelszungen gerufen und mit einem Frankfurter Würstel gewachelt. Aber sie wehrte Barolos Avancen sinnfällig ab. "Neinnein", rief sie, "du darfst noch nicht rauchen. Du bist noch nicht sechzehn." Wo sie recht hat, hat sie recht.

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