Kickl und Kurz: Blauer Schatten über türkisem Höhenflug

Anhaltend starker Rückenwind für den Kanzler, für zunehmende Irritationen sorgt nur der Innenminister.
Josef Votzi

Josef Votzi

Sebastian Kurz spult auch ein Jahr danach ein Programm in einem Tempo ab, als stünde er noch mitten im Wahlkampf. Zehntausende Flugkilometer wie einst  als Außenminister; tausende Autokilometer in die Bundesländer, um sich nicht sagen zu lassen, er jette nur durch die Welt. Aber was bleibt ein Jahr nach dem spektakulären Machtwechsel am 15. Oktober 2017? Umfragen wie für den KURIER belegen: Die Zufriedenheit mit „denen da oben“ ist so hoch wie lange nicht. Als größtes Verdienst dieser Koalition gilt, dass nicht mehr öffentlich gestritten wird. Davon profitiert zuvorderst Kurz.

Die Kanzlerpartei legte seit der Wahl noch einmal kräftig zu und hält stabil bei im Europamaßstab sensationellen 34 Prozent. Die größte Stärke der Türkisen bleibt, eine Botschaft so lange zu trommeln, bis sie bald niemand mehr hören kann, aber so gut wie jeder mitbekommen hat.

Es gibt aber auch so etwas wie eine „hidden agenda“, eine politische Mission, die im blauen Lager zunehmend sichtbar wird. Die FPÖ macht keinen Hehl mehr daraus, dass sie auch als Regierungspartei in vielen Belangen für Gegenaufklärung steht. Straches Mastermind, Herbert Kickl, rief gar eine Art Konterrevolution aus: „Das Projekt der 68er ist gescheitert. Sie versuchten, im Namen des Fortschritts zerstörerisch zu wirken. Wenn ich nur an das Aushöhlen der staatlichen Identität oder des Familienverbundes denke.“ In klassischen Medien blieben diese Aussagen weitgehend unbeachtet, auf FPÖ-Propaganda-Foren wie unzensuriert.at werden sie breit abgefeiert.

Skandalsumpf Polizei-Geheimdienst

Auch in der ÖVP wird so auch der Umgang mit dem BVT mit Sorge beobachtet. Am Anfang war eine Razzia, die nicht nur das ÖVP-Justizministerium schwer irritierte. Im Untersuchungsausschuss wurde diese Woche berichtet, dass auch nachträglich versucht wurde, auf eine nicht willfährige BVT-Mitarbeiterin Druck auszuüben. Die betroffene Spitzenbeamtin formulierte ihre Stimmungslage dort drastisch so: „Das ist jetzt der Tag X, wenn sie an die Macht kommen, dann hängen sie als erstes die Staatspolizei auf und als nächstes die Justiz.“ Im Dauervisier der Blauen sind der ORF und unabhängige Medien.

Ein Jahr nach dem Machtwechsel hat Sebastian Kurz eine mehr als komfortabele Reise-Flughöhe erreicht. Der Kanzler rief deshalb gestern zum „captains call“. Es wäre spannend zu hören, was er zum Kurs meint, den sein Innenminister etwa in Sachen Polizei-Geheimdienst eingeschlagen hat. Auch zur Debatte über Medienfreiheit wäre eine Reaktion des Regierungschefs gefragt, die über ein allgemeines Bekenntnis hinausgeht – sei es in Worten oder nachhaltig in Taten.

Es geht nicht um die Wiederbelebung des alten Koalitionsstreits, sondern darum, „dass bereits ein Schatten auf der noch jungen Kanzlerschaft von Sebastian Kurz liegt“ wie auch die der gegnerischen Parteilichkeit unverdächtige Frankfurter Allgemeine Zeitung konstatiert. Im Visier der FAZ: Die Rolle Kickls beim BVT und die „Ausgrenzungsversuche gegen kritische Medien“.

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