Ich bin dann mal nämlich nicht da

Ich bin dann mal nämlich nicht da
Über Mundl, den letzten Abend des Jahres und ein muskulöses Männchen namens Druck.
Anna-Maria Bauer

Anna-Maria Bauer

In meiner ersten bewussten Erinnerung an Silvester schießt eine Freundin meiner Mutter einen Sektkorken in den Innenhof-Garten unserer Wohnsiedlung in Wien-Liesing und ruft: „Wir warn’s nicht! Wir sind ja gar nicht da!“ Alle finden das sehr lustig, also lache ich auch, ohne die Anspielung auf die „Mundl“-Silvesterfolge zu verstehen. Es sind überhaupt alle sehr ausgelassen an dem Abend, ich bekomme so viel Saft, wie ich möchte, und darf lange aufbleiben. Ich beschließe, dass Silvester toll ist.

Dieser Beschluss kehrt sich in sein Gegenteil, als ich Teenagerin werde, sich diese Abende bloß in die Länge ziehen und nie besonders lustig sind.

Die Silvesternacht kann nichts dafür, die ist so gut wie jede andere Nacht. Es liegt am Druck, der wie ein Männchen mit großen Muskeln auf den Gedanken steht und sie quetscht.

Das Männchen ist ja mittlerweile in Höchstform. Den ganzen Dezember hat es einen durch die Geschäfte Wiens gescheucht, um ein gutes Geschenk zu finden. („Was heißt hier gut?“, ruft der Druck, „es muss perfekt sein!“) Am Heiligen Abend, spätestens am Christtag, hat er einen zum Weinen gebracht; man weiß gar nicht genau warum, der Druck weiß es oft auch gar nicht. Und dann, zu Silvester, kann er zum Grande Finale ausholen.

Alles, weiß der Druck, was ein Anfang oder ein Ende ist, ist ja ausnahmslos toll. Wie in den Ferien: Die erste Nacht in einem Hotelzimmer ist aufregend, die letzte ist wehmütig, weil das Abenteuer vorbei ist. Selbst wenn der Urlaub an sich gar nicht so toll war; die Erinnerungen daran sind einmalig.

Und weil Silvester Anfang und Ende in einem ist, ist der Tag doppelt belastet. Man lässt das Jahr wehmütig Revue passieren und fasst zu viel Vorsätze. Man wälzt und prüft und betrachtet. Man steht. Das kleine muskulöse Männchen ist vor Anstrengung rot im Gesicht.

Aber vielleicht kann man den Druck einfach zum Fenster hinaus schießen. Falls ihn morgen jemand am Boden liegend finden sollte: Ich war’s nicht! Ich bin dann mal nämlich nicht da.

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