Herrschaft der Besten, ein gefährlicher Mythos

Kurz befeuert die populäre Heilserwartung an Experten. Gewinner bleibt er, Verlierer ist der Glaube an Politik.
Josef Votzi

Josef Votzi

Good news: Work-Life-Balance ist kein hohles Schlagwort. Für Jüngere ist Karriere nicht mehr alles. Die Kinder der „Hackeln-bis-zum-Umfallen“-Generation mussten mitansehen, wie Lebensträume und Familien zerbrechen. Sie versuchen Beruf, Familie und Freizeit besser unter einen Hut zu bringen.

Mixed news: Hinter dem Streben nach mehr Ausgleich steht zunehmender Druck am Arbeitsplatz und die – mal schlicht notwendige, mal frei gewählte – Doppelbelastung von Mann und Frau via geteilter Familienarbeit.

Die europäische Wertestudie birgt überraschend erfreuliche Neuigkeiten. Aber noch mehr Stoff, der sehr nachdenklich macht. Good news: Der Wunsch nach dem starken Mann hält sich mit 16 Prozent nach wie vor in Grenzen. Mixed news: Die Österreicher haben ein Faible für Experten. Mehr als jeder Zweite würde am liebsten allein von Fachleuten regiert werden. Denn, so der Succus: Wer, wenn nicht sie, weiß, was zu tun ist.

Sebastian Kurz surft virtuos auf dem Trend: „pfui Politiker, hui Experten“. Fürs türkise Kabinett und als Neo-Abgeordnete kürte er fast ausschließlich Fachleute. Sie geben dem Kurz-Team den populären Expertenanstrich und sind – win-win – auch politisch ohne Eigengewicht. So kann der einzige Vollblut- und Berufspolitiker schalten und walten wie er will. Der honorige Migrations-Fachmann Faßmann zieht so eine Kehrtwende in die Schulpolitik der autoritären 60er-Jahre durch, ohne sie wissenschaftlich untermauern zu können.

„Eltern mit Kindern im Kindergarten bevorzugt“

Hinter dem Hohelied auf „unpolitische Fachleute“ steckt eine brandgefährliche Verachtung des Wesens von Politik. Ein Gesundheitsexperte wird etwa den Befund bestätigen, dass trotz Kassenfusion die Klassenmedizin bleibt. Ob die Gesundheitsleistungen für alle nach oben oder nach unten nivelliert werden, und wer das wie bezahlt, bleibt eine politische Entscheidung. Denn für die Kardinalfrage, wie wir leben wollen, gibt es nur einen Experten – und das sind in einer Demokratie die Wähler.

Kurz verbannt offensiv jede Debatte ins Winkerl („Diese Regierung streitet nicht“). Und setzt weiter auf Propaganda. Dieser Tage ging sogar der No-Na-Slogan „Berufstätige Eltern werden im Kindergarten bevorzugt“ als Schlagzeile durch. Wird es demnächst auch die absurde Parole „Eltern mit Kindern werden im Kindergarten bevorzugt“ widerspruchslos in die Medien schaffen? So würde am Ende doch noch der Mythos des starken Mannes obsiegen, der sich als Chef einer Expertenregierung tarnt.

Nach sechseinhalb Jahren darf ich mich als Blattmacher des Sonntag-KURIER von Ihnen mit dieser Ausgabe verabschieden und Ihnen für Ihre große Treue danken. Die jüngste Mediaanalyse weist dem Sonntag-KURIER mit 680.000 Lesern eine stabile Reichweite aus, während Boulevardmedien zeitgleich signifikant Leser einbüßen mussten.

Bleiben Sie gutem Journalismus treu, wo immer Sie ihn in Fake-News-Zeiten wie diesen noch finden.

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