Gipfel-Bilanz: Unwillige, Freiwillige und Zahlungswillige

Die EU zerfällt in immer mehr Neigungsgruppen. Der Asyl-Härtetest bleibt nun an Sebastian Kurz hängen.
Josef Votzi

Josef Votzi

KURIER-Karikaturist Michael Pammesberger hatte schon am Tag davor eine Vision über den Ausgang des Ringens um mehr Gemeinsamkeiten in der EU-Flüchtlingspolitik (zu besichtigen auf kurier.at): Ein Sprecher aller EU-Staatschefs überbringt Angela Merkel die Botschaft: „Es gibt eine gemeinsame europäische Lösung – Alle gegen Dich.“

Die „Conclusions“ des jüngsten EU-Gipfels sind nur höflicher formuliert. Im Kern hat Pammesberger schon vorab den Nagel auf den Kopf getroffen. Alle sind sich einig: Mit Merkels Parole „Wir schaffen das“ ist endgültig Schluss. Die EU macht die Grenzen dicht. Wie das gehen soll – dazu gibt es mehr neue offene Fragen als Antworten.

Politisch ist es ein Gipfel mit vielen kleinen Gewinnern. Der italienische Premier, der gleich bei seiner Premiere im EU-Rat mit Veto drohte, konnte danach erleichtert hinausposaunen: „Ab heute ist Italien nicht mehr alleine“. Giuseppe Conte flog mit der vagen Zusage seiner Kollegen nach Hause, sie würden ihm freiwillig neu anlandende Flüchtlinge abnehmen. Die Quotenlösung,

auf die sich alle 2015 verpflichteten, bleibt totes Recht.

Die EU zerfällt in der Flüchtlingsfrage in immer mehr Neigungsgruppen: Die Gruppe der Unwilligen hat sich endgültig durchgesetzt. Ein zweifelhafter Erfolg, den sich die Visegrád-Gruppe rund um Viktor Orbán einmal mehr zu Hause auf ihre Fahnen heften kann. Neu sind die Frei- und Zahlungswilligen. Anstelle der total unbrauchbaren Dublin-Regeln soll zwischen den EU-Ländern „good will“ mehr Verteilungsgerechtigkeit garantieren – und in Afrika ein neuer Türkei-Deal für dichtere Außengrenzen sorgen.

Damit geht auch Angela Merkel, die von EU-Untergangspropheten in Brüssel und Berlin schon totgesagt wurde, mit einem Etappensieg in die Ferien – auch dank Zusagen von EU-Kollegen zur Flüchtlingsübernahme.

„Ideen sind nur so viel wert wie ihre Umsetzung“

Das Ja zu „Anlandezentren“ außerhalb der EU, vornehmlich in Afrika, kann zuvorderst Sebastian Kurz als Erfolg verbuchen. Er ist aber Realist genug, um zu wissen: „Ideen sind natürlich nur so viel wert wie ihre Umsetzung.“

Denn nach dem Gipfel vor der Sommerpause in Brüssel ist vorm nächsten Gipfel Ende September in Salzburg. „Jetzt wird bei der österreichischen Präsidentschaft noch eine große Zahl an Aufgaben liegen“, resümierte die deutsche Kanzlerin Samstagfrüh für viele hörbar süffisant.

Die vielen offenen Fragen in Sachen Asyl bleiben politisch ganz oben auf der Agenda. Das geltende Asylrecht und Asyl-Management war nie für eine Völkerwanderung wie 2015 gedacht. Neu unter Druck kommt es nicht durch einen neuen Massenansturm, sondern durch den EU-weiten Vormarsch der Rechtspopulisten.

Ob der humane Umgang mit Flüchtenden ein Opfer dieses Gipfels ist, wird erst die Praxis weisen. Aber auch hier warten Merkel, Juncker & Co mit einer auf den ersten Blick guten Nachricht auf: Für das Know-how der geplanten Anlandezentren außerhalb der EU soll das erfahrene UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sorgen.

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