Josef Grünwidl: Der richtige Dirigent für bewegte Kirchenzeiten

Die Erzdiözese Wien steckt, wie ganz Europa, in einer spannenden Umbauzeit. Viele Jahrhunderte war Religion Schicksal. Jetzt ist sie freie Wahl. Man kann alles wählen, nur nicht, ob man wählen will. Also sind die Menschen wählerisch. Das ist nicht schlecht für die kommende Zeit der Kirche. Es werden weniger zu ihr gehören, aber dafür mehr Entschiedene. Und viele Suchende in und außerhalb der Kirche. Das verlangt von der Pastoral, die Menschen aufzuspüren, die Gott der Jesusbewegung hinzugefügt hat. Für diese wird die Kirche ein sensibles Berufungscoaching machen. Um die Berufungen aufzudecken, braucht es, um ein Bild zu verwenden, „pastorale Trüffelschweine“.

Paul M. Zulehner.
In dieser Zeit übernimmt Josef Grünwidl die Erzdiözese. Und weil er Orgel studiert hat und auch gut spielt, verwende ich Bilder aus der Musik. Bisher war er Musiker im „Kirchenorchester der Erzdiözese Wien“. Er war ein herausragend guter Musiker, als Pfarrer, Sekretär, Bischofsvikar und zuletzt als Administrator. Als Chefdirigent kennt er die Partitur, das Evangelium, seit Jahrzehnten nicht nur auswendig, sondern par cœur, wie die Franzosen sagen, im Herzen. Als guter Chefdirigent wird er sich um das Orchester kümmern. Wie die Wiener Philharmoniker vor geraumer Zeit Frauen als Musikerinnen aufgenommen haben, wird er dies auch im Kirchenorchester tun, Schritt für Schritt. Die Frauenordination, die er befürwortet, wird noch auf sich warten lassen. Das kann auch kein Papst allein entscheiden, sondern nur ein Konzil oder eine Art erweiterte Weltsynode. Er wird sich als ein „Episkopus“ – was griechisch nicht überheblich herabschauen, sondern „auf seine Leut’ schauen“ bedeutet – fragen, wie es den Seelsorgerinnen und Seelsorgern geht. Seine Wortmeldungen in diese Richtung, auch gestützt durch die Pfarrerinitiative, der er angehörte, lassen vermuten: Er ist besorgt, dass es allen gut ergeht, dass sie zufrieden, also im Frieden mit sich und ihrer Umwelt leben. Daher ist ihm weniger wichtig, ob die Orchestermitglieder verheiratet sind oder nicht. Er weiß klar, dass unzufriedene Verheiratete für die Pastoral ebenso schädlich sind wie die Unverheirateten. Also soll jede und jeder selbst wählen und das Beste aus dem selbst gewählten Lebensstand machen. Dabei gibt es heute nur noch zwei Hochrisikolebensformen, Ehe und Ehelosigkeit.
Ungewohnt
Ungewohnt für Wien ist, dass jemand Erzbischof wird, der sich nicht bereits in einer anderen Diözese bewährt hat. Das konnte bei manchen residierenden Bischöfen in Österreich auch geheime Begehrlichkeiten wecken. Ein Karriereschritt erschien möglich. Persönlich bin ich der Meinung, dass es gut ist, dass Josef Grünwidl auf Anfrage wiederholt Nein gesagt hat. Wer es werden will, will einen Karriereschritt machen. Wer es nicht werden will, kann sich leichter an biblischen Leitbildern orientieren. Er ist dann Diener an den Tischen, ein Hirte, der nach der Herde riecht, und vor allem, wie Papst Franziskus, ein Fußwascher. Wien freut sich sehr auf die Bischofsweihe. Dort werden ihm viele Getaufte, darunter Ordinierte, ihren Dank zusingen: dass er den ungesuchten Dienst angenommen hat. Erzbischof Grünwidl wird die Synodalisierung vorantreiben. Am besten ist es, eine Kirchenversammlung einzurichten, in der alle gemeinsam beraten und entscheiden. Eine Art Kirchenparlament also: ohne dass dadurch die Aufgabe wegfällt, dass der Erzbischof dafür verantwortlich zeichnet, dass die Erzdiözese in der Spur des Evangeliums bleibt. Das ist ein prophetisches Amt und kein demokratisches. Und es ist die unbequeme Seite, weil man sich damit keine Freunde macht.
Wird Erzbischof Grünwidl bald Kardinal werden? Vielleicht würde er wiederholen, was er einmal geäußert hatte: Rom soll doch statt ihm eine Frau mit einer Leitungsaufgabe zur Kardinälin machen. Geben würde es da viele geeignete, vor allem aus den Orden, wie etwa Sr. Beatrix Mayerhofer, lange Vorsitzende der Ordenskonferenz in Österreich.
Zum Autor:
Paul M. Zulehner ist Theologe und katholischer Priester, lehrte an der Universität Wien.
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