Was Russland darf ... und andere Staaten nicht

Russian President Putin chairs a meeting on the development of Russian Navy in Saint Petersburg
Das russische Narrativ ist bezeichnend für die Haltung des Regimes: Ein Gastkommentar von Janos I. Szirtes.

Admiral Chris Parry gab Putin zu bedenken, dass englische U-Boote fähig sind, russische Städte zu vernichten. Die russischen Massenmedien stürzten sich darauf mit den Schlagzeilen, Großbritannien will Russland überfallen. Dabei ist gerade in russischen Medien überall zu hören und lesen, dass Paris, Berlin, London angegriffen werden sollen, Ex-Präsident Medwedew schließt sich dem an. Im TV wurde sogar simuliert, was eine Atombombe in London anrichten würde. In der westlichen Presse ist eher von Schutz vor einem russischen Angriff zu lesen, Drohungen militärischer Art sind selten.

Was Russland darf ... und andere Staaten nicht

Janos I. Szirtes

Das russische Narrativ ist bezeichnend für die Haltung des Regimes: Was es darf, dürfen andere nicht. Es geht nicht nur um Angriffsdrohungen. Putin fordert kontinuierlich den Stopp des Exports westlicher Waffen in die Ukraine und erwähnt kein einziges Mal, dass nordkoreanische Geschoßlieferungen die Hälfte der von ihnen verschossenen Munition ausmachen. Auch iranische Drohnen werden unterschlagen. Die Bedrohung aus Kaliningrad, von wo Raketen in zwei bis fünf Minuten Warschau oder Berlin erreichen können, kommt nicht auf die Tagesordnung, der Rückzug derselben Mittel im Westen wird dagegen lautstark wegen der „Sicherheitsbedrohung“ gefordert. Russische Gerichte haben gegen Ukrainer eine Reihe von Verfahren wegen Terrorismus eröffnet. Selbstverständlich erreichte der Angriff gegen die Ukraine, die völkerrechtlich geächtete Vernichtung von mehr als der Hälfte der Strominfrastruktur, die Entführung von über 20.000 ukrainischen Kindern und andere Kriegsverbrechen nicht die russische Hemmschwelle der Bewertung als Terrorismus. Auch die Zwangsrussifizierung in den besetzten Gebieten entspricht der heldenhaften Vorgehensweise Putins.

Wer nicht die russische Staatsbürgerschaft annimmt, bekommt keine Rente, keine Sozialversicherung, natürlich muss er aus dem Ort, an dem er geboren wurde, wegen unerlaubten Aufenthalts abgeschoben werden. Es handelt sich um über zwei Mio. Menschen. Im Völkerrecht gilt dies als Vertreibung.

Nicht nur Putin ist es eigen, dass alle negativen Dinge der Gegenseite angedichtet werden. Das Selbstbildnis der Russen ist das der einfachen, ehrlichen, keinem grundlos etwas antuenden Menschen, während man an der Gegenseite kein gutes Haar lässt. Da die Narrative von der Geburt bis zum Tod Bestandteil des Alltags sind – widersprechende Infos hat die Bevölkerung nicht –, glaubt sie es. Bis sie am eigenen Leib zu spüren bekommt, dass das Gehörte nicht der Wirklichkeit entsprechen kann. Da seit Generationen gelernt wird, sich von der Politik fernzuhalten, ist eine Änderung nur bei empfindlicher Verschlechterung der Lebensumstände realistisch. Wird der Krieg fortgesetzt, tritt dies bald ein, weil Putin die Mittel für die Kriegsführung im nächsten Jahr ausgehen. Endet er, kommt die Rezession mit derselben Wirkung.

Janos I. Szirtes ist Politikwissenschafter, lebt in Budapest.

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