Vergessene Krisen: Es sind Menschen, keine Zahlen

Unterernährte Kinder im Tschad (Afrika): Es gibt sie noch, die extreme Armut in der Welt
Weitere Kürzungen für humanitäre Hilfe wären für Organisationen und Hilfsbedürftige bedrohlich. Ein Gastkommentar von Sarah Easter.

Ich sammle Lebensgeschichten. Berichte über Hunger, Krieg, Konflikte, Katastrophen, Geflüchtete und Leid. Ich sammle sie in bunten Notizbüchern: Blau für die Ukraine, Grün für Mosambik, Orange für den Tschad. Sie sind voll mit den Schrecken der Welt, in der wir leben. Und in fast jedes Notizbuch schreibe ich dieses Zitat: „Wenn die Menschen sehen, was hier geschieht, dann wird Hilfe kommen.“

Ich höre das von den Menschen vor Ort immer wieder. Jedes Mal ist es mit Hoffnung auf Linderung der Not verbunden. Es ist fast so, als ob ihre Berichte sie künftig vor Bomben, Hunger und Angst schützen könnten. Und ist ihre Hoffnung nicht berechtigt? Sollte nicht schon ein einziger Beitrag über Verlust, Tod und Verzweiflung den Lauf der Dinge ändern?

Vergessene Krisen: Es sind Menschen, keine Zahlen

Sarah Easter

Diese Lebensgeschichten sind keine Statistiken. Es sind Menschen mit Gesichtern, die ich nicht vergessen kann. Unterernährte Kinder. Erschöpfte Geflüchtete. Sterbende Menschen. Überlebende, die oft traumatisiert sind. Es ist das, was Maria erlebte, als sie aus dem Sudan in den Tschad floh. „Nachts hören wir das Weinen der Kinder, die noch weinen können. Die Geräusche des Krieges sind verschwunden. Wir sind weiter am Leben. Aber wir haben keine Kraft mehr.“

Meine Aufgabe ist es, der Welt von diesen Menschen zu berichten. Zu warnen, zu informieren, laut zu sein für jene, die es nicht sein können. Aber was passiert, wenn Worte ihre Kraft verlieren? Wenn Begriffe wie Tod, Hunger, Krieg und Verlust so oft benutzt werden, dass sie nicht mehr wirken, um Hilfe zu mobilisieren? Es ist schwierig, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erhalten.

Es wird darüber gesprochen, dass Budgets für humanitäre Hilfe gekürzt werden müssten. Dass Projekte enden müssten, weil die Mittel fehlten. Weniger finanzielle Unterstützung bedeutet, dass Hilfsorganisationen weniger Nothilfe leisten können. Viele merken, dass Spenden schwinden. Auch das sind nicht nur Zahlen. Ich denke an die Menschen, die darauf hoffen und vertrauen, dass es Hilfe für sie geben wird.

Es schmerzt mich, zu sehen, dass auch internationale Hilfseinsätze in eine Krise geraten sind. Oft sind sie zu 50, 70, sogar zu 80 Prozent unterfinanziert. Es bedeutet nicht weniger, als dass Familien keine Hilfe erhalten, während Krisen, Kriege und Katastrophen um sie herum eskalieren.

In einer Welt voller schlechter Nachrichten stellt sich leicht ein Gefühl der Überforderung ein. Wenn Veränderung unmöglich erscheint, hören viele Menschen auf, sich mit Krisen zu befassen. Aber wir dürfen nicht wegsehen: Organisationen bleiben trotz aller Widrigkeiten vor Ort und tun, was sie können, um die Menschen nicht im Stich zu lassen. Aber wir können das nicht alleine schaffen. Dafür brauchen wir Aufmerksamkeit und Unterstützung. Sollten diese Lebensgeschichten nicht Anlass genug sein, um etwas zum Besseren zu ändern?

Sarah Easter ist Krisenreporterin für die Hilfsorganisation Care Österreich.

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