Russische Schaukel: Wie geht es Putins Wirtschaft nach Trumps Zöllen?

Trotz  Sanktionen und langem Krieg scheint Russlands Wirtschaft nicht entscheidend geschwächt
Trumps Politik hat eine widersprüchliche Wirkung auf Russlands Wirtschaft und Putins Krieg. Ein Gastkommentar von Vladislav Inozemtsev.

Die Schocks, die Trumps Zollkrieg durch die Weltwirtschaft gejagt hat, haben Russland bisher nicht ernsthaft getroffen. Das liegt nicht so sehr daran, dass das Weiße Haus Moskau von seinen reziproken Zöllen ausgenommen hat, sondern vor allem an dem höchst vielfältigen und sogar widersprüchlichen Einfluss der US-Politik auf die russische Wirtschaft. Ich würde dessen Wirkung nicht als „Amerikanische Achterbahn“, sondern als „Russische Schaukel“ beschreiben.

Erstens hatten die Absichten der USA, die Ukraine-Krise zu lösen, einen regelrechten Boom auf dem russischen Markt ausgelöst: Der Rubel verlor zwischen dem 12. Februar, als Trump zum ersten Mal mit Herrn Putin telefonierte, und Ende März gegenüber dem Dollar mehr als 18 % an Wert, während die russischen Aktienmarktindizes von Mitte Dezember bis zu ihren Höchstständen Mitte März zwischen 13 und 26 % zulegten. Der plötzlich auf dem russischen Markt aufgekommene Optimismus begann zu schwinden, als klar wurde, dass der Kreml nicht die geringste Absicht hat, den Waffenstillstand voranzutreiben, sondern lediglich versucht, sich wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen (etwa die Aufhebung der Sanktionen gegen eine seiner größten Banken, Rosselkhozbank, oder den Versuch, Boeing-Maschinen mit Geld zu kaufen, das möglicherweise aus den eingefrorenen Vermögenswerten Russlands stammen könnte).

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Vladislav Inozemtsev

Zweitens wirkten sich die US-Maßnahmen auf Russland auf widersprüchliche Weise aus: Einerseits verursachten sie einen Rückgang der Ölpreise, der den Kreml bis zu 120 Mio. Dollar an täglichen Exporteinnahmen kostete, da der Wert des wichtigsten russischen Handelsguts von Ende Jänner bis 8. April um bis zu 20 % fiel (insgesamt rund 10 Mrd. Dollar im Vergleich zum Vorjahr), und lösten Befürchtungen aus, dass Russlands Haushalt in Schwierigkeiten geraten könnte. Gleichzeitig ließen sie aber auch Russlands internationale Reserven um mehr als 40 Mrd. Dollar ansteigen, hauptsächlich aufgrund der starken Aufwertung des Goldes, aus dem sie großteils bestehen, was eine unbeabsichtigte Folge der globalen Marktpanik war, die Trumps willkürliche Entscheidungen ausgelöst haben.

Drittens führten sowohl die Hoffnung auf Frieden mit der Ukraine als auch die Stärkung des Rubels zu einer paradoxen Situation für das russische Militär. Die Zahl der freiwilligen Soldaten, die sich der Armee anschließen, ist gestiegen, da immer mehr Menschen versuchen, von den Prämien zu profitieren, die weiterhin bei der Einberufung gezahlt werden, aber möglicherweise keine Teilnahme an Kampfhandlungen befürchten müssen. Viele Regionen haben diese Prämien bereits gesenkt. Dies macht den anhaltenden Krieg für den Kreml etwas günstiger – doch das könnte sich über Nacht ändern, wenn die Friedensgespräche scheitern. Wie dem auch sei, selbst dieser Trend trägt zum allgemeinen Gefühl des „Schaukelns“ bei, das heute in Russland vorherrscht.

Viertens hat selbst die erhöhte Inflation (die aktuell auf 10,38 % für die letzten 12 Monate geschätzt wird) zusammen mit dem hohen Leitzins von 21 % widersprüchliche wirtschaftliche Auswirkungen. Sie erschweren vielen Unternehmen aufgrund des Kapitalmangels das Überleben – gleichzeitig ermutigen hohe Einlagenzinsen Anleger zum Kauf von Staatsanleihen. Nicht nur jene Russen, die ihr Geld zu Beginn des Krieges außer Landes geschafft haben, kehren nun zurück, sondern auch einige westliche Risikofreudige folgen diesem Beispiel.

Solche widersprüchlichen Trends sind in der russischen Wirtschaft fast überall zu beobachten. Ich würde sagen, dass jeder, der behauptet, sie stehe am Rande des Zusammenbruchs oder sie habe die Schwierigkeiten der letzten Jahre erfolgreich gemeistert, gleichermaßen falschliegt. Derzeit balanciert Russland auf sehr unsicherem Niveau, von dem aus es in jede Richtung gehen kann, was vor allem von der Entscheidung zwischen Krieg und Frieden abhängt, die Putin in den kommenden Wochen, wenn nicht Tagen, treffen dürfte. Wenn eine solche strategische Frage beantwortet ist, würde sich der Fokus auf taktische Fragen verlagern, wie es in den ersten Kriegswochen der Fall war. Erst dann würde man sehen, ob die russische Bürokratie neue Bedrohungen wirksam neutralisieren oder von neuen Möglichkeiten profitieren kann.

Vladislav Inozemtsev ist Ökonom und Mitbegründer des Zentrums für Analysen und Strategien in Europa in Zypern (CASE). Von Russland als „ausländischer Agent“ eingestuft.

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