Sind eigentlich alle Liberalen links?

Feierlaune in Wien: Neos-Politiker Meinl-Reisinger, Arapovic, Emmerling und Wiederkehr.
Vor dem Hintergrund der Regierungsbeteiligung einer dezidiert liberalen Partei im Bund ist es sinnvoll und zulässig, nach der Gemengelage des österreichischen Liberalismus zu fragen. Historisch betrachtet war Liberalismus in Österreich im 20. Jahrhundert nur in Spurenelementen vorhanden. Das fulminante Scheitern des Liberalen Forums, dessen Existenz vom damaligen SP-Nationalratspräsidenten Heinz Fischer 1993 maßgeblich gefördert wurde, ist noch in Erinnerung.
Es hatte einen guten Grund, weshalb sich in der Ersten Republik die Ränder (auf der Linken die Sozialdemokraten, wobei sogar Otto Bauer gerne seine liberale Erziehung betonte, und auf der Rechten die Deutschnationalen unter Johannes Schober) oft liberal gaben, um ihre eigenen Ansätze zu kaschieren. Vor allem die rote Intelligenzija spielte über Jahrzehnte mit liberalen Selbstbeschreibungen. Egal, ob ihre eigenen Genossen an der Werkbank und in den Fabrikshallen sie verstanden haben oder nicht. Liberalismus hat auf Seite der Sozialdemokratie somit eine lange Tradition. Und somit auch deren Koalitionsanhänge wie aktuelle Beispiele, nicht zuletzt in der linken Hochburg Wien, eindrucksvoll zeigen.

Johannes Schönner
Verkaufsschlager
Dass sich der VdU und später die FPÖ unter Helmut Peter und Norbert Steger liberal vermarkteten hatte genau diese politisch-psychologische Aufgabe. Seht her: Mein Preis ist nicht hoch, und man kann sich mit mir sehen lassen! Liberal wurde zu einem unaufgeregten Verkaufsschlager, mit dem sich vortrefflich Politik machen ließ. Doch man blieb in der eigenen gesellschaftspolitischen Agenda links. Folglich hatte es einen Grund, weshalb liberale Parteien vorrangig mit den Sozialdemokraten Schnittmengen fanden. Das war zwischen FPÖ und der SPÖ unter Kreisky und Sinowatz der Fall, genauso wie die FDP mit der SPD Deutschland in den 1970er Jahren den Stempel aufdrückte, und erst als der Stern von Helmut Schmidt im Sinken war, schlug die Stunde von Kohl und Genscher.
Liberal ist in Österreich zu einem (vermeintlichen) Schutzschirm geworden und soll vermitteln: wir sind modern, anständig und dem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Anders sieht es mit dem Etikett „wirtschaftsliberal“ aus. Diese negative Zuordnung hört man von den „Liberalen“ bei Selbstbeschreibung eher selten. Mit nachvollziehbaren Motiven: Wirtschaftsliberal sind nur die minder geachteten „Büttel des Kapitals“. Soll heißen: die bürgerliche Mittelschicht, auf der ein funktionierender Staat aufbaut.
Wie sieht es schließlich mit dem liberalen Erbe der Volkspartei aus? Zweifellos gab es in der Frühphase nach dem Zweiten Weltkrieg liberale Persönlichkeiten. Es dauerte nicht lange, und die ordnungspolitischen Realitäten der Volkspartei sonderten diese Mitgestalter (zumindest in den vorderen Reihen) aus. Namen wie Erhard Busek oder Jörg Mauthe gehörten in den 1970er Jahren vor allem in Wien zu den bürgerlichen Vordenkern, die die ÖVP als liberal verorten ließ. Innovativ und selbstbewusst auf der einen Seite, doch auch realpolitisch immer geneigt, mit den Sozialdemokraten gemeinsame Politikfelder zu finden.
Vorleistung
So gesehen war der bürgerliche Liberalismus der ÖVP zeitweise eine Vorleistung für eine spätere SPÖ-ÖVP-Koalition. Erfolgreiche Liberale gab es jedoch sehr wohl in den Landeshauptstädten, wobei sich Graz bestens zitieren lässt. Hanns Koren war ein bürgerlicher Liberaler, der aber als (kultur-)politischer Solitär eher eine Ausnahme blieb.
Freilich hat liberal etwas mit urban zu tun. Die Themensetzung von städtischen Liberalen wird in einem Alpental eher unverstanden bleiben. Ehrlicherweise muss man eingestehen, dass „die Liberalen“ oft als erste an den engen Realitäten scheitern bzw. einen Pakt aufkündigen. So hat Christian Lindner seitens der FDP die deutsche Ampel gesprengt und Beate Meinl-Reisinger hat bei den (ersten) Koalitionsverhandlungen zwischen VP, SP und Neos als erste den „Tisch verlassen“.
Wenn heute ein früherer (linker) Grünpolitiker wie Robert Luschnik Klubdirektor der Neos im Parlament ist, dann sagt das viel aus. Sowohl in personeller als auch in inhaltlicher Hinsicht. Die Zukunft wird weisen, wohin sich das liberale Pendel im Bund neigt. Ob die SPÖ mit zwei bürgerlichen Parteien eine Koalition bildet oder die ÖVP mit zwei linken.
Zum Autor:
Johannes Schönner ist Zeithistoriker und Geschäftsführer des ÖVP-nahen Karl von Vogelsang-Instituts.
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