Leidenschaft statt Inszenierung

Leidenschaft statt Inszenierung
Was sich die Politik von Selenskij abschauen sollte

Der ukrainische Präsident erhält im Umgang mit dem Krieg in seinem Land weltweite Anerkennung. Ob in seiner Ansprache im EU-Parlament, im deutschen Bundestag oder im italienischen Parlament: Selenskij versteht es, sich Gehör zu verschaffen. Er ist persönlich und zeigt sich als Mensch, der wie das ukrainische Volk vom Konflikt mit Russland tief betroffen ist. Wenn er um Unterstützung für sein Land bittet, ist er emotional und genau das trifft uns. Er schafft es, dass man mit ihm fühlt und ihn nicht nur hört. Zugleich zeigt er sich entschlossen und kämpferisch, indem er dem russischen Aggressor klare Grenzen setzt – ohne die Brücken für Verhandlungen einzureißen.

Seine Haltung hat uns klar vor Augen geführt, was den politischen Akteuren in Österreich fehlt: Glaubwürdigkeit, Emotionalität, Mut und der Wille, das eigene Ego beiseitezulegen und um Hilfe zu bitten. „Echte“ Menschen, die sich mit persönlichem Engagement für die Anliegen der Bevölkerung einsetzen und nicht nur ihre eigene politische Agenda verfolgen. Der Politikfrust der Bürger ist verständlich, wenn ein Skandal den anderen jagt. Das Hickhack auf den Gegner der anderen Parteifarbe hat nicht das Gemeinwohl im Sinn, sondern das Streben nach Macht. Das führt zu Misstrauen und Politikverdrossenheit.

Umso mehr sind wir von der Leidenschaft und dem Überlebenshunger des ukrainischen Präsidenten ergriffen. Er bewegt uns, mithelfen zu wollen – im Kampf gegen den Versuch, ein Land und deren Menschen zu zerstören. Selenskij ist es gelungen, den Rückhalt des ukrainischen Volks und internationaler Staaten zu gewinnen, indem er als Vorbild agiert und sich seiner Menschlichkeit besinnt: Altruismus statt Egoismus. Füreinander da sein, statt gegeneinander antreten. Sich beistehen und unterstützen, in Zeiten der Not und der Bedrohung.

Der ukrainische Staatschef hingegen schafft es, in einfachen Worten den Menschen weltweit zu vermitteln, was es heißt, in seinen Grundwerten verletzt, vertrieben und bedroht zu werden. Optisch unterstrichen wird seine Einsatzbereitschaft durch sein olivgrünes Outfit, mit dem man ihm abnimmt, dass er sofort an der Seite seiner Soldaten mitkämpfen würde.

Natürlich nutzt Selenskij die sozialen Medien geschickt, aber warum sollte er es nicht tun? Das, was in der Ukraine geschieht, braucht keine Inszenierung und keinen Regisseur. Selenskij vermittelt die authentische Botschaft: „Wir geben unser Land, unsere Heimat nicht auf. Aber wir brauchen dafür Hilfe!“ Man müsste schon sehr gefühlskalt und ignorant sein, um davon nicht berührt zu werden. Genau diesen Mut, diese Glaubwürdigkeit und diesen unerschütterlichen Einsatz für die Menschen vermisst man in Österreich, trotz unseres Wohlstandes und unserer vermeintlichen Sicherheit, schmerzlich.

Gabriel Schandl ist Rhetorik-Trainer und Wirtschaftscoach.

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