Kinderabschiebungen sind „cringe“ für Österreich
Jänner 2022. Die Weihnachtsferien sind vorbei. Kinder und Jugendliche starten in den Endspurt des ersten Semesters. Jetzt wird noch für die ungeliebte Französisch-Schularbeit gelernt, die Frühwarnung in Physik ausgebügelt oder ein letzter Kraftakt für „die VWA“ oder Lehrabschlussprüfung gesetzt.
Ganz normaler Schulalltag also. Ganz normal? Nein! Für manche bleibt es ein unerfüllter Herzenswunsch, wieder in die Schule gehen zu dürfen, durch deren Eingangstor man viele Winter davor schon gestapft ist.
Wer uns davon erzählen kann? Tina sicherlich. Sie wurde vor einem Jahr mit ihrer Familie abgeschoben. Unschöne Bilder waren das: Die damals 12-jährige Schülerin eines Wiener Gymnasiums wurde mit Hundestaffel und mitten in der Nacht in einem Polizeibus durch eine protestierende Menge Richtung Flughafen manövriert. Nun ist sie nach Wien zurückgekehrt, darf vorerst 90 Tage in ihrer ursprünglichen, ihrer eigentlichen Heimat bleiben. Um hier langfristig wieder in die Schule gehen zu dürfen, braucht Tina ein Schülervisum. Das ist rechtlich einwandfrei möglich. Was beweist uns der „Fall Tina“? Dass solche Kinderabschiebungen für Österreich zum Fremdschämen sind, richtig „cringe“ eben, was passenderweise das Jugendwort des Jahres 2021 war. Denn was hat sich seit dieser aufsehenerregenden Nacht bei Asylverfahren und Abschiebungen verändert? In diesem langen Jahr, das Tina ganz ohne Schulalltag absitzen musste?
Für einen Schulbesuch in Georgien, der Heimat ihrer Mutter, hätte die mittlerweile 13-Jährige nämlich auch die Schrift beherrschen müssen. Und dafür ist ein Jahr dann doch zu wenig gewesen, selbst für eine gute Schülerin. Überhaupt sticht eines bei diesen „Fällen“ ins Auge: Kinder und Jugendliche mit dem Damoklesschwert der drohenden Abschiebung beweisen sich trotz schwieriger Bedingungen oft noch ein Stückchen mehr: Sie sind Klassenbeste, haben engagierte Berufsziele, einen äußerst gewandten Sprachstil. Dabei gilt der Vorrang des Kindeswohls, wie er in unserer Verfassung steht, doch für alle Jungen, auch wenn sie „lost“ (Jugendwort 2020 übrigens!), also planlos und unsicher sind!
Die von der Justizministerin eingesetzte Kindeswohlkommission legte einen umfassenden Empfehlungskatalog vor. Von „Asyl-Lotterie“ und einem „Fleckerlteppich“ in Österreich sprach im Sommer die Leiterin Irmgard Griss. Es brauche dringend einheitliche Standards, rasche Verfahren, keine zusätzlichen Traumatisierungen bei Abschiebungen. Mit dem betroffenen Kind werde kaum geredet. Ihm falle automatisch alles auf den Kopf, was die Eltern vielleicht nicht richtig gemacht haben. Die Prüfung des Kindeswohl-Vorrangs findet schlicht nicht statt. Es gibt sie weiterhin, die Kinder und Jugendlichen, die die gleichen Erfahrungen wie Tina machen. Ana, Mariam, Ajla aktuell zum Beispiel. Sie alle können leider „Same!“ zu Tinas Geschichte sagen. Das heißt „Geht mir genauso.“ Noch so ein Jugendwort.
Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez koordiniert das Netzwerk Kinderrechte Österreich.
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