Eine fiktive Kanzler-Rede: Der Anfang der Endemie

Was der Kanzler sagen sollte, klingt so:
„Liebe Österreicherinnen und Österreicher, die Pandemie geht zu Ende. Nach zwei Jahren Ausnahmezustand erreichen wir einen neuen Normalzustand. Covid wird uns erhalten bleiben, und uns als Krankheit in Schüben heimsuchen. Als die Europäer Amerika kolonisierten, wurden 95 Prozent der Ur-Einwohner von Masern, Grippe und Pocken dahingerafft, viel mehr als in Europa. Für ihr Immunsystem waren die Erreger neu – sie waren immunologisch naiv – und sie zahlten einen unfassbaren Preis.
Als Corona aufschlug, waren wir alle immunologisch naiv. Wir hatten noch Glück: Corona war wesentlich tödlicher als die Grippe, aber nicht so tödlich wie die Pocken. Für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen war der Preis des Virus hoch, für Jüngere war Covid eine Lotterie: meist harmlos, für einige schwerwiegend oder tödlich. Die meisten waren vernünftig, ließen sich impfen und waren so vor schweren Verläufen weitgehend geschützt. Ein kleinerer Teil verhielt sich egoistisch, verweigerte die Impfung. Das mehrte die Todesfälle, überlastete die Krankenhäuser und führte zu größeren Einschränkungen, als nötig gewesen wäre.
Heute ist die große Mehrheit durch Impfung und Ansteckung nicht mehr naiv. Auch deswegen verläuft die Omikron-Welle weniger schwerwiegend. Sie wird – wie bereits in anderen Ländern – in einigen Wochen abklingen. Wir werden deshalb die Impfung jetzt nicht verpflichtend machen. Das wäre schwer zu begründen. Die Aufgabe des Staates ist es nicht, jeden Bürger vor jeder Krankheit zu schützen. Freiheit ist immer auch die Freiheit zur Unvernunft – die aber dann ihre Grenze findet, wenn sie die Freiheit anderer einschränkt oder deren Leben bedroht. Der Staat muss die Allgemeinheit schützen.
Ich werde das Parlament ersuchen, das Gesetz über eine allgemeine Impfpflicht für mögliche zukünftige Fälle zu verabschieden, und unsere Behörden beauftragen, eine effiziente Umsetzung zu planen.
Ich verspreche Ihnen auch, Lehren aus dem Politikversagen während der Pandemie zu ziehen. Wir werden Frühwarnsysteme einrichten, und Kapazitäten, um Spitzen in Spitälern besser abzufangen. Wir werden uns intensiv mit Long-Covid beschäftigen; wir müssen die Folgen der Pandemie besser verstehen. Wenn in Zukunft neue Varianten oder Erreger auf uns zukommen, werden wir vorbereitet sein. Wenn eine Krankheit endemisch ist, ist es nicht sinnvoll, ohne Anlass zu testen. Wir werden daher die Massentests mit dem Abklingen dieser Welle einstellen. Auch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens beenden wir mit dem Abebben von Omikron bis auf Weiteres. Impf-Zertifikate behalten ihre Gültigkeit, Sie werden sie auch für Auslandsreisen brauchen. Die Pandemie ist vorbei, wir sind in der Endemie. Wir alle haben viel Versäumtes aufzuholen. Lassen Sie uns gemeinsam mutig in neue Zeiten schreiten. Vielen Dank, Ihr Bundeskanzler“
Veit Dengler ist Medienmanager und Parteigründer (NEOS).
Kommentare