Ein Gespenst geht um

Ist er oder sie wirklich gegen Impfungen? Oder eher gegen Bevormundung? Da steckt das Wort „Mund“ drinnen … und da ich die letzten sechs Wochen täglich mit meiner greisen Hündin kämpfen musste, ihr die verordneten Medikamente ins Maul zu löffeln oder zu spritzen, weiß ich, dass man ihr das vorher ausführlich, daher auch geduldig erklären muss – denn wenn sie auch nicht die Worte versteht, versteht sie die fürsorgliche Zuwendung.
Menschen sind doch keine Hunde, werden jetzt manche sofort protestieren, und nur diese muss man eben dressieren. Aber genau das versuchen manche auch bei Menschen, wie viele Studien zu Erziehungsmethoden aufgezeigt haben – die einen brutal, die anderen süßelnd. Heiratsschwindler nennt man die Letztgenannten (und kann dann streiten, ob es mehr männliche oder weibliche gibt). Oder PR-Berater (Scherz!).
Ich sehe die Problematik in dem – uns allen wohl gut bekannten Eltern-Satz „Kümmere Dich nicht darum – Das verstehst Du nicht!“. Wahrhaftiger wäre die Botschaft „Ich fühle mich überfordert, Dir das zu erklären“ oder auch „Ich weiß es – noch – nicht.“ Doch weil kleine Kinder Unsicherheit oder Angst bei ihren Schutzpersonen nicht aushalten, pflegen die einen – die Ich-Stärkeren – zu randalieren, während die anderen depressiv verstummen. Oder sich Personen anschließen, die sich als Eltern-Ersatzfiguren anbiedern – die bekannte Taktik von potenziellen Missbrauchern, egal ob mit finanziellen, sexuellen oder politischen Absichten.
In Krisensituationen neigen Menschen dazu, in Verhaltensweisen aus Kindheit und Jugend zu regredieren, in brave Unterordnung oder schlimme Rebellion. (Bekannt sind diese Rückfälle bei ernsthaften Krankheitszuständen, hohem Fieber etwa.) Und wieder wollen die einen dann „gehalten“ werden und fordern unentwegt Aufmerksamkeit, die anderen hingegen weisen jedes Unterstützungsangebot zurück und kritisieren dann, man hätte sie im Stich gelassen. Zur Klärung ihrer Bedürfnisse oder ihres Bedarfs eigenen sich beide Verhaltensmuster nicht, auch wenn sie als durchaus verständliche Reaktionen üblich sind.
Und genau deshalb ist es ein Bildungsproblem, Menschen möglichst früh an historischen Beispielen die Spielregeln wie auch Umgangsformen der mühselig erkämpften repräsentativen Demokratie zu vermitteln. Das wäre moderner Geschichtsunterricht; die gewaltverzichtenden Kommunikationsformen dazu gehören in jeden Sprachunterricht. Zuletzt noch einmal eine frei formulierte Anleihe beim „Kommunistischen Manifest“ (Marx/ Engels 1848): Es ist hohe Zeit, dass die Impfgegner ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst der Impfverweigerung ein Manifest ihrer Ziele selbst entgegenstellen.
Rotraud Perner ist Juristin und Psychotherapeutin.
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