Die „Wiener Zeitung“: Eine Herz-Schmerz-Geschichte

Die „Wiener Zeitung“: Eine Herz-Schmerz-Geschichte
Ein Plädoyer für eine Wiederbelebung der ältesten Tageszeitung der Welt. Von Janko Ferk.

Ich habe schon einige Tageszeitungen verbleichen gesehen. In Kärnten waren es zwei – und die Eigentümerinnen politische Parteien. Das abflauende Interesse an der Politik der Inhaberinnen bescherte ihnen den Tod. Hier ist es umgekehrt, zwei Parteien haben die Wiener Zeitung zum Schweigen gebracht. Mit einer Schlagzeile ausgedrückt: EINE KULTURSCHANDE. Alle Proteste waren erfolglos. Ich muss mir eingestehen, dass die Bedeutung der (Unter-)Schriftsteller nicht groß ist.

Die Wiener Zeitung hat am 28. April 2023 auf Seite eins in Lettern ihr ENDE verlautet. In die vier zwölfeinhalb Zentimeter hohen Buchstaben waren im Kleindruck die Namen der Abgeordneten der Regierungsparteien eingesetzt, die das Aus besiegelt haben. Der Bundesrat hat es ihnen am 11. Mai 2023 gleichgetan. Die Wiener Zeitung erscheint seit dem 8. August 1703, bald dreihundertzwanzig Jahre, das letzte wird nicht mehr voll, weil am 30. Juni 2023 die letzte Ausgabe ausgeliefert wird.

Die Politikerinnen, die den Absch(l)uss paktiert haben, seien beim Namen genannt. Susanne Raab und Eva Blimlinger. Beachtenswert ist das Grundsatzprogramm der Grünen, das 2001 beschlossen wurde und dessen Vorwort Alexander Van der Bellen verfasst hat. Im Programm heißt es, den Monopolisierungstendenzen sei vorzubeugen. Und das Geschwurbel geht wortwörtlich weiter: „Ein … besonders wichtiges Grundrechtsprojekt ist es, die … Konzentration von medialer Macht in den Händen weniger Grenzen zu setzen.“ Daraus ergibt sich die Frage: Was bewirkt besser die Machtkonzentration als das Verkürzen des Angebots um eine ganze Tageszeitung? Das Einstellen ist bisher nach dem „Anschluss“den Nationalsozialisten vorbehalten gewesen. In der letzten Ausgabe liest man: „Nach 237-jährigem Bestande tritt die Wiener Zeitung in das Schattenreich.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte das Blatt wieder auf und erschien erstmals am 21. September 1945.

Für den Erhalt könnte man einige Argumente anführen. Persönlich ist mir das wichtigste: die Tatsache des kulturellen Erbes. Auf der ganzen Welt gibt es kein Blatt, das ein solches Alter je erreicht hat. Parallel verschoben müsste man im Technischen Museum Maderspergers Nähmaschine vernichten, um eine vergleichbare Kulturschande anzurichten. Einer der reichsten Staaten der Welt kann sich die Herausgabe dieser Zeitung leisten. Daneben habe ich eine Milchmädchenrechnung angestellt. Die Verdoppelung des Verkaufspreises von einem auf zwei Euro könnte den Umsatz mir nichts, dir nichts duplizieren.

Es bleibt in dieser Herzensangelegenheit nur eine Hoffnung. Eine nächste Bundesregierung. Ich werde der Erste sein, der sie auffordern wird, die Wiener Zeitung wiederzubeleben. Es kann ja einmal auch ein Zeitungsdefibrillator zum Einsatz kommen.

Janko Ferk ist Jurist, Schriftsteller und lehrt an der Universität Klagenfurt/Univerza v Celovcu

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