Automatisch heißt nicht besser

Automatisch heißt nicht besser
Die Bekämpfung der kalten Progression hilft den Ärmeren wenig

Allerorts wird nach der Abschaffung der Kalten Progression gerufen, jetzt endlich müsse das umgesetzt werden, leben wir doch in teuren Zeiten. Aber ist die Abschaffung der Kalten Progression wirklich das Mittel der Wahl, um jene, die es am dringendsten brauchen, also Haushalte, die wenig Einkommen haben und die untere Mittelschicht, gegen die Teuerung abzusichern?

Unser Steuersystem folgt dem Prinzip: Wer mehr hat, weil er mehr verdient, der trägt auch mehr bei zur Finanzierung jener Dinge, die wir als Gemeinschaft nur gemeinsam stemmen können: Schulen, Straßen, Sicherheit. Der Anteil, den man stemmen kann, wächst mit dem Verdienst. Wer sich über eine Gehaltserhöhung freuen kann, zahlt, wenn er über die Steuerstufe rutscht, für einen Teil des Einkommens höhere Steuern. Ein Nebeneffekt: Steigen die Löhne nur gerade soviel, wie auch die Preise steigen, gewinnen die Arbeitnehmer:innen keine Kaufkraft. Trotzdem wird ein Teil ihres Einkommens durch die Lohnerhöhung höher besteuert als bisher. Ihnen bleibt also weniger über. Das ist die Kalte Progression. Schon bisher hat sich der Finanzminister diese „schleichenden Steuermehreinnahmen“ aber nicht eingesteckt. Die Kalte Progression wurde bisher regelmäßig mit Steuerreformen abgegolten.

Auf diese Weise wurden spezifische Bevölkerungsgruppen gezielt entlastet – etwa Haushalte mit weniger Einkommen überkompensiert, weil es sozialpolitisch wichtig war. Nun fordern manche, diesen Prozess von der Politik zu entkoppeln: Nicht mehr die Regierung soll mittels Steuerreform rückverteilen, sondern die Tarifgrenzen sowie Frei- und Absetzbeträge sollen automatisch an die Inflation angepasst werden. Tatsächlich profitieren gerade Haushalte im niedrigen Einkommenssegment kaum bis gar nicht von der geforderten automatischen Anpassung.

Im untersten Fünftel bringt die Abschaffung der Kalten Progression pro Kopf nur rund 84 Euro, im obersten dafür aber 576 Euro pro Jahr. Wer Familien mit wenig Einkommen vor der Teuerung nachhaltig schützen möchte, ist mit einer kräftigen (und überfälligen) Anhebung der Sozialleistungen deutlich besser beraten.

Mit einem Automatismus schrumpft auch unser budget- und verteilungspolitischer Spielraum: Für wichtige Zukunftsinvestitionen, etwa zur Eindämmung der Klimakrise, bleibt weniger Geld, in Zeiten von Wirtschaftskrisen wären nachfragestärkende Steuersenkungen schwieriger.

Um sicherzustellen, dass die Rückverteilung an die Beschäftigten regelmäßig passiert, könnte man mit einem Progressionsmonitoring den Mittelweg beschreiten. Überschreitet die Inflation einen Grenzwert, wird automatisch ein politischer Prozess hin zu einer Steuerreform eingeleitet. Wie die Steuerreform dann ausgestaltet ist, obliegt weiterhin dem Parlament.

Barbara Blaha leitet den sozialliberalen Thinktank Momentum Institut.

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