Ende des Ausgleichs, aus für Volksparteien

Kompromisse waren früher der Ausweg aus einem politischen Streit. Heute zählt nur die starke Ansage.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Am Sonntagnachmittag wussten die deutschen Online-Seiten von einem Kompromiss. Innenminister Seehofer(CSU) habe Bundeskanzlerin Merkel(CDU) noch eine Frist von zwei Wochen gewährt. Wenn sie bis Ende Juni eine europäische Lösung schaffe, dann werde er die geplanten Maßnahmen an den Grenzen nicht umsetzen. Seehofer will ja Flüchtlinge, die bereits in einem anderen Land registriert sind, an der Grenze zurückweisen, Merkel ist dagegen.

Kompromiss ist das keiner, eher die Ausübung der Richtlinienkompetenz, nicht durch die Kanzlerin, sondern durch den CSU-Chef. Niemand glaubt an die EU-Lösung, immer weniger Deutsche glauben an Merkel, vor allem in ihrer CDU vertritt sie nur mehr eine Minderheit. Seit 18 Jahren ist sie CDU-Chefin, und obwohl in der DDR aufgewachsen, verkörperte sie perfekt das System der Bundesrepublik, das ja unserem ähnlich ist: Den gesellschaftlichen Ausgleich durch Verhandlungen zu finden, auch wenn diese langsam und mühsam sind.

Linke und rechte Volksparteien haben mit ihren Teilorganisationen dieses Prinzip gelebt, sie befinden sich auch deshalb in der Krise, weil nicht mehr der Ausgleich Erfolge bringt, sondern die starke Ansage. Die Verunsicherung, die schon vor der Flüchtlingskrise da war und nun die Politik prägt, wird durch einfach klingende, radikale Lösungsvorschläge eine Zeit lang überdeckt.

Das erleben wir auch in Österreich. Und da ist es auch gar nicht schlimm, wenn klare Positionen nach der Wahl aufgegeben werden. Das sind die Menschen von den Volksparteien ja auch gewohnt. Die FPÖ hat vor der Wahl gegen CETA oder den Zwölfstundentag agitiert, jetzt stimmt sie zu. Macht nichts, noch schärfere Töne gegen Flüchtlinge werden das schon überlagern.

Merkel-Nachfolge: Welcher Typ ist gefragt?

Sebastian Kurz hat vor anderen erkannt, dass Volksparteien mit innerem Ausgleich und äußerem Kompromiss schwach wirken. Kein Wunder, dass er in Deutschland Nachahmer findet. Der 38-jährige Gesundheitsminister Jens Spahn arbeitet schon länger, mit starken Auftritten und konservativen Ansagen, an der Nachfolge Merkels. Und um die geht es jetzt, auch wenn es heute noch eine Versöhnung in der Union gibt. Merkel wollte ihre Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, 55, installieren, aber erst vor den nächsten Wahlen. Mehr Chancen hat Daniel Günther, 44, seit dem Vorjahr Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Alle werden sich überlegen müssen, wie eine Volkspartei mit dem Wunsch nach einfachen Lösungen zurechtkommt. Der bayerische Ministerpräsident Söder beweist, dass starke Ansagen alleine keinen Erfolg bringen. Trotz markiger Sprüche über Flüchtlinge stagniert die CSU bei Umfragen für die Landtagswahlen im Herbst bei 40 Prozent.

Die Demokratie braucht keine Führer, sondern Führungspersönlichkeiten. Diese müssen Kraft und die Verantwortung haben, die Gesellschaft nicht zu spalten und die Menschen nicht mit einfachen Lösungen zu verführen.

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