Die Politik der anonymen Anzeigen

Die Politik der anonymen Anzeigen
Wenn ein Wahlkampf von anonymen Anzeigen und nicht von Themen dominiert wird, hat die Politik verloren.
Martin Gebhart

Martin Gebhart

Dass nach einer verlorenen Wahl Wunden geleckt werden müssen, ist politischer Alltag. Wenn man so wie die niederösterreichische Volkspartei die absolute Mehrheit im Land abgeben muss und knapp unter 40 Prozent rutscht, dann wird besonders intensiv nach Erklärungen gesucht.

Eine hat man jetzt in den vielen anonymen Anzeigen gefunden, die zum Jahreswechsel während des Wahlkampfes aufgetaucht sind. Tatsächlich war noch nie zuvor bei einer Landtagswahl so oft die Staatsanwaltschaft bemüht worden, ohne dass der oder die Absender bekannt waren. Die meisten Anzeigen haben die ÖVP betroffen, einige wenige auch den Spitzenkandidaten der SPÖ. Und alle haben sich in der Zwischenzeit in Luft aufgelöst. Zuletzt – mehr als drei Monate nach dem Wahltag – jene zu Inseraten in ÖVP-nahen Medien, die an die Staatsanwaltschaft in Wien gerichtet war. Und von dieser nun ad acta gelegt worden ist.

Dass die ÖVP in St. Pölten deswegen an ihre Medienministerin Susanne Raab die Forderung richtet, dafür zu sorgen, dass Veröffentlichungen von anonymen Anzeigen im Zusammenhang mit einem Wahlkampf in Zukunft extra gekennzeichnet werden sollen, ist lächerlich. Das alles aber als bloße Wehleidigkeit einer Partei abzutun, die einen Wahlverlust verkraften muss, ist genauso falsch. Wenn Wahlkämpfe nur noch über die Justiz-Bande geführt und beeinflusst werden, dann hat die Politik verloren. Ein anonymer Vorwurf ist schnell erhoben, bleibt im Raum stehen und stößt nach der Wahl kaum mehr auf öffentliches Interesse. Da braucht sich dann niemand mehr wundern, dass man im Vertrauensindex ganz unten rangiert.

Ein ähnliches Bild hatte im Vorjahr der Untersuchungsausschuss des Parlaments geliefert. Erstens war damit eine Flut von Anzeigen verbunden. Zweitens musste bei den meisten heiklen Fragen der Verfassungsgerichtshof (VfGH) zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, weil die Parteien nicht mehr imstande und auch nicht willens sind, strittige Themen untereinander auf Augenhöhe zu klären. Da verlagert man lieber das Gesetz des Handelns auf eine juristische Ebene, der dann nicht mehr widersprochen werden kann.

Wenn jetzt plötzlich versucht wird, mit schärferen Regeln für Medien die Lust auf anonyme Anzeigen zu bremsen, dann ist das bloß eine Symptombekämpfung. Und bringt letztendlich auch nichts. So lange die Parteien der massive Vertrauensverlust in der Bevölkerung weniger schmerzt als die Angst, in der Diskussion mit dem politischen Gegner nicht punkten zu können, wird die Gürtellinie in der heimischen Politik auch in Zukunft keine Grenze markieren.

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