Die Neutralitätslüge

Die Neutralitätslüge
Österreich glaubt seit jeher, im Ernstfall beschützt zu werden und selbst nichts tun zu müssen. Darüber muss man diskutieren – aber nicht jetzt
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

In seinem Furor gegen die Welt, die seinen Ukraine-Feldzug nicht verstehen will, droht Wladimir Putin unverhohlen: Er versetzt sein nukleares Abschreckungsarsenal in Alarmbereitschaft, auf dass die NATO nicht auf die Idee kommt, sich einzumischen; er lässt Kampfjets in den schwedischen Luftraum fliegen, weil Stockholm mit dem Militärbündnis liebäugelt; und er nennt die Sanktionen des Westens eine „Kriegserklärung“ – Subtext: die eine Antwort, welche auch immer, rechtfertigt.

Wie nebenher hat der russische Präsident sein Außenamt auch die „emotionale antirussische Rhetorik“ des „scheinbar neutralen Österreich“ geißeln lassen.

Dass einer, der gerade das größte Verbrechen des 21. Jahrhunderts begeht, dafür Zeit verwendet, ist bemerkenswert. Die Antwort aus Wien – Österreich ist militärisch neutral, aber niemals politisch, wenn es um die Achtung des Völkerrechts und gegen Gewalt geht – war bemerkenswert klar.

Bemerkenswert überflüssig ist der Vorstoß einiger verdienter und weniger verdienter ÖVP-Granden, die österreichische Neutralität zu kübeln. Und der unerträglich einfältige SPÖ-Reflex, die Neutralitätslüge für alle Zeiten in den Himmel zu heben.

Ein Widerspruch?

Nein. Die immerwährende Neutralität hat Österreich 1955 den Staatsvertrag und die Freiheit gebracht – und ja, sie war eine Bedingung Moskaus dafür. Im Kalten Krieg

hat sich Österreich, hart am Eisernen Vorhang gelegen,

in dieser Rolle eingerichtet im Glauben, im Fall des Falles unter dem Schutz der Westmächte zu stehen – wer wollte das kleine, feine Österreich schon fallen lassen?

Auch die später aufgetauchten sowjetischen Durchmarschpläne durch Österreich haben das Land nicht wachgerüttelt: Es gefiel sich vorher und nachher in der ewigen Rolle des Vermittlers und Brückenbauers zwischen Ost und West (eine Selbstüberschätzung der Sonderklasse, in welchen Konflikten hat Österreich je erfolgreich Brücken gebaut?) und als politisch neutraler Musterschüler im Erbe Bruno Kreiskys (der vor allem für seine „Neutralität“ in Sachen Nahost berühmt war …).

„Neutralität erfordert keine Abfangjäger“, hat Alfred Gusenbauer einmal gesagt – weil Österreich ohnehin von NATO-Staaten umgeben sei. Diese Trittbrettfahrer-Mentalität bar jeder eigenen Leistung für die eigene Si-

cherheit (Stichwort: Heeresfinanzen) herrscht bis heute vor, auch wenn die Neutralität längst durch Beteiligungen an EU- und UNO-Friedenseinsätzen eingeschränkt ist.

Soll heißen: Es hätte viele Anlässe gegeben, die österreichische Neutralität ernsthaft zu hinterfragen. Und vielleicht kann man das, wenn der Kriegsverbrecher Putin abgeurteilt sein wird, auch wieder tun. Im Moment aber wäre eine Neutralitätsdebatte eine bloße Provokation und so unnötig wie ein Kropf.

Die Neutralitätslüge

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