Die durchwachsene Bilanz der Pflegereform
Als Johannes Rauch im Mai 2022 die Eckpunkte der großen Pflegereform präsentierte, da sprach der Sozialminister vom „größten Reformpaket der vergangenen Jahrzehnte“. Der Superlativ war ausnahmsweise angemessen. Nicht weniger als eine Milliarde Euro versprach die türkis-grüne Bundesregierung für den Pflegebereich, einen ausgeweiteten Rechtsanspruch für pflegende Angehörige, ein völlig neues Ausbildungsmodell, und, und, und. All das war um Welten mehr, als sämtliche Vorgänger-Regierungen zustande gebracht hatten.
Ein Jahr nach der Präsentation ist festzuhalten: Ja, es wurde manches erreicht. Die Bonus-Zahlungen für das Personal zum Beispiel wurden überwiesen; die neue Pflege-Lehre hat diesen Mittwoch – endlich – den Ministerrat passiert.
Doch bei aller Anerkennung für Geleistetes: Gut ist die Sache längst nicht, dafür gibt es – noch immer – zu viele Problemfelder.
Beispiele? Da wäre zunächst einmal die Bürokratie: Auch 2023 ist es für Betroffene oft nur unter großen Mühen möglich, sich im komplizierten Pflegewesen zurechtzufinden. Gibt es eine 24-Stunden-Betreuung? Wie hoch ist das Pflegegeld? Macht es einen Unterschied, wer Papa, Mama oder den Ehepartner „begutachtet“?
Fragen wie diese stellen sich meist über Nacht und müssen nicht selten in emotionalen Ausnahmezuständen beantwortet werden. Das überfordert. Und damit die Situation der betroffenen Familien besser wird, muss das Pflegesystem weiter vereinfacht und harmonisiert werden.
Ein anderes, bis heute in der Pflege-Debatte weitgehend ausgespartes Thema ist die Prävention: Denn die Zuspitzung am Pflegesektor liegt nicht allein daran, dass die Österreicher heute – Gott sei Dank! – einfach viel älter werden als noch vor 20 Jahren. Das nicht zu unterschätzende Problem besteht darin, dass wir im Vergleich zu anderen Industriestaaten bestürzend nachlässig sind, was das gesunde Altern angeht. Während sich in Schweden bei 100 über 65-Jährigen nur sieben Pflegefälle finden, sind es in Österreich mittlerweile fast dreimal so viele (siehe Seite 6). Das muss, ja darf nicht so sein.
Und schließlich sollten wir dringend einen Wunsch erfüllen, der absolut gar nichts kostet und vielfach von den Pflegerinnen und Pflegern selbst kommt, nämlich: Die Diskussion ums Pflegethema muss sich ändern!
Was ist gemeint? Auch wenn das Leiden und Sterben notwendigerweise zum Pflegen gehören, sind Schmerz, Pein und Elend nicht das, was diesen Beruf ausmacht. Die Betreuung älterer Mitmenschen ist fordernd, keine Frage. Sie kann aber auch enorm erfüllend, sinnvoll und damit sinnstiftend sein. Davon gilt es zu erzählen. Vor allem dann, wenn wir junge Mitmenschen für diese Jobs begeistern wollen.

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