Dem türkis-blauen 12-Stunden-Tag fehlen noch faire Spielregeln

Das starre Arbeitszeit-Korsett hat sich überlebt. Der Kurz-Strache-Plan braucht aber noch Nachbesserungen über das Versprechen der "Freiwilligkeit" hinaus.
Josef Votzi

Josef Votzi

Was als Überraschungs-Coup gedacht war, droht zum Bumerang zu werden. Die Funktionäre packten am ÖGB-Kongress gerade ihre neuen Resolutionen ein, als Kurz und Strache verkündeten: Türkis-Blau macht ruck, zuck den Weg zum 12-Stunden-Tag frei.

Kurzfristig haben sie damit nur Kakofonie provoziert. Müssen jetzt alle länger arbeiten und „bis zum Umfallen schuften“ – wie der ÖGB suggeriert? Kommt nun die „schöne neue Arbeitswelt“ mit selbstbestimmter Gleitzeit und Vier-Tage-Woche für alle – wie uns das Türkis-Blau weismachen will? Beate Hartinger-Klein machte die Verwirrung jüngst perfekt. „Ich will nicht“ reicht nicht, proklamierte die Sozialministerin auf die Frage, wer wie zu Überstunden Nein sagen kann. Und trat damit auch im blauen Lager einen Proteststurm los.

Heinz-Christian Strache zieht nun die Notbremse: „Ich will nicht“ gilt. Überstunden sind nur „freiwillig“ zu leisten. Dass Hartinger-Klein damit die Dead Woman Walking ist, müssen die Blauen mit sich ausmachen.

Die Schlüsselfrage für alle anderen bleibt: Wie freiwillig wird das Prinzip „freiwillig“ im Arbeitsalltag sein? Dass sich starre 8-Stundentage von 9 bis 17 Uhr überlebt haben, weiß jeder. Dass in Firmen getrickst wurde, um das rigide Arbeitszeitgesetz straffrei zu umgehen, ist Realität.

Nur zeigen, wer jetzt der Herr im Haus ist?

Die Sozialpartner hatten jahrelang Zeit, hier nachzubessern. Die Regierung Kern-Mitterlehner setzte ihnen vor genau einem Jahr eine letzte Frist zur Einigung. Darüber, warum sie damals einmal mehr scheiterten, gehen die Versionen auseinander. Kern habe die roten Gewerkschafter eingebremst, um sich ein populäres Wahlkampfthema zu sichern – so das türkise Lager. Kurz habe via schwarze Kämmerer verhindert, dass Rot-Schwarz kurz vor der Abwahl noch ein Lebenszeichen setzt – so das rote Lager. Jetzt macht Türkis-Blau genau das, was Rot-Schwarz angedroht hatte: Gibt es keinen Sozialpartner-Deal, dann gibt allein die Politik den Takt vor.

Was im türkis-blauen Vorschlag – trotz nachgebesserter „ Freiwilligkeit“ – nach wie vor fehlt, sind faire Spielregeln. Beginnend mit Durchrechnungszeiten, die nicht unter Verdacht stehen, sich Überstundenzuschläge ersparen zu wollen. Und gipfelnd in einem nachhaltigen Ausgleich der Bereitschaft zu mehr Flexibilität in der Arbeit gegen mehr Planbarkeit von Familienleben und Freizeit.

Harald Mahrer hat aus seinem Werbe-Video, das dümmlichst positive Emotionen wecken wollte, offenbar gelernt. Er fordert: Runter mit den Emotionen. Gefordert wäre jetzt auch: Runter vom Gas. Denn die Erfahrung lehrt: Speed kills. Der Weg zum 12-Stunden-Tag soll 2019 frei gemacht werden. Bis dahin bleibt also reichlich Zeit, noch nachträglich das Know-how der Sozialpartner in Sachen Arbeitszeitregeln zu nutzen.

Beharrt Türkis-Blau auf das Durchpeitschen der Arbeitszeitreform binnen zwei Wochen, ist endgültig klar, worum es Kurz und Strache zuvorderst geht: Dem „alten System“ zu zeigen, wer jetzt der Herr im Haus ist.

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